Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Vagabundin

Die Vagabundin

Titel: Die Vagabundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
Vom Netzwerk:
verlangen können. Zumindest so viel, um davon ihr erstes Handwerkszeug zu kaufen. Und einen hohen Hut mit schneeweißer Feder!

23
    Immer wieder aufs Neue wunderte sich Eva, wie leicht der Mensch sich blenden ließ. Die Leute wollen genarrt werden!, dachte sie jedes Mal mit einem Kopfschütteln, wenn in den Schenken, Herbergen oder auch in den Häusern der Bauern, denen sie ihre Dienste anbot, jeder sie für einen Burschen hielt. So einfach war das: Eine Frau musste sich nur einen Hut auf den Kopf setzen, Beinkleider anlegen und ein hübsches Wams über das Hemd streifen, und schon ging sie als Handwerksgeselle durch!
    Sie musste sich nicht mal einen Bart auf die Oberlippe malen, wie sie es anfangs noch getan hatte und was ihr schließlich allseitiges Gespött eingebracht hatte, als sie sich einmal nach einem Sturzregen mit anderen Wanderern untergestellt hatte. «Seht her, dieser Grünschnabel will sich als Mannsbild aufspielen – und jetzt saut ihm der Bart davon!», hatte einer gerufen, und alle waren in Gelächter ausgebrochen. Mit vor Scham brennenden Wangen war sie davongerannt, um sich in einem einsamen Winkel die Holzkohle von der Haut zu rubbeln.
    Inzwischen wusste sie, dass eine solch plumpe Maskerade gar nicht nötig war. Ihr einstudierter Gang, aufrecht, schwer und leicht krummhaxig, reichte aus, um zusammen mit der Kleidung das andere Geschlecht vorzugaukeln.
    Dafür war schon bald ein ganz anderes Problem aufgetaucht: Der Handel mit Altkleidern, den sie sich recht einträglich vorgestellt hatte, kam nicht in Gang. Auf den kleinen Dörfern und Gehöften, die Eva aufsuchte, waren die Menschen zumeist arm. Man besaß nur das Nötigste an Kleidungsstücken, und was nicht mehr passte, wurde an andere Familienmitglieder weitergegeben, auch wenn der Stoff noch so schäbig und zerschlissen war. So bot sich Eva allenfalls die Gelegenheit, Kleidergegen Kost und Unterkunft umzunähen und auszubessern. Die wenigen Münzen, die sie hin und wieder einnahm, gingen allesamt für den Kauf ihrer Handwerksutensilien, für Borten, Garne und Nadeln, drauf.
    Zum Glück wurden die Nächte kürzer und milder, und so begann sie wieder, wenn sie nicht in Arbeit war, in Scheunen und Stadeln zu übernachten, und auch, Früchte von den Feldern zu stibitzen. Jetzt, wo kein Niklas mehr an ihrer Seite war, dem sie hätte zum Vorbild gereichen müssen, tat sie dies, wann immer sie hungrig war und sich die Gelegenheit bot. Ihr schlechtes Gewissen beruhigte sie damit, dass sie niemals mehr nahm, als sie in dem jeweiligen Augenblick essen konnte, und keinen Schaden anrichtete. Für alle Fälle bat sie jedes Mal um Gnade beim heiligen Nikolaus, dem Schutzpatron der Kinder und Jungfrauen, der Pilger und Reisenden – und auch der Diebe und Betrüger.
    Weitaus schwerer fiel es ihr, gegen die Pforten der Klöster und Pfarrhäuser zu klopfen und um ein Stück Brot zu betteln. Das waren dann auch die Augenblicke gewesen, wo sie vor Kummer fast vergangen wäre, wo die Einsamkeit und eine unbestimmte Sehnsucht ihr das Herz zerrissen. Doch zum Glück wurden diese Augenblicke seltener, und sie gab nicht auf. Sie wollte etwas lernen. Und sie wollte Schneiderin werden!
    Bis in den Sommer hinein wanderte sie kreuz und quer durch die lichten Hügel des Vorwalds und die Täler des schattigen Gebirges. Sie hatte sich für diese Gegend entschieden, da sie hier die Lage der Straßen und größeren Orte einigermaßen im Kopf hatte. Den Gäuboden hingegen mied sie, obwohl in dieser fruchtbaren Ebene die reichsten Bauern lebten. Aber zu groß war dort die Gefahr, jemandem aus Straubing zu begegnen. Und zumindest anfangs saß die Angst davor, entdeckt zu werden, ihr tagtäglich im Nacken.
    Nach und nach erwarb sie sich beim Nähen und Zuschneiden ein Geschick, das ihr, wenn sie denn Arbeit fand, von allen Seiten Lob einbrachte. Mit der wachsenden Anerkennung ihrer Fähigkeiten wurde sie selbstbewusster. Einmal, zur Zeit der Heuernte, gelangte sie an eine große Ölmühle. Das Anwesen protzte vor Reichtum, angefangen bei den kostbaren Buntglasscheiben sämtlicher Fenster über die geschnitzten Tür- und Fensterrahmen bis hin zu dem aufwendig gepflasterten Hof. Eva straffte die Schultern, als sie das bronzene Einhorn gegen die Eingangstür schlug. Hier würde sie sich, falls es Arbeit gab, nicht mit einem Strohsack und einem Teller Suppe abspeisen lassen.
    Eine junge Magd öffnete, und Eva setzte ihr bezauberndstes Lächeln auf.
    «Grüß di Gott, Jungfer.

Weitere Kostenlose Bücher