Die Vagabundin
Sold,
Der Landsknecht sich es selber holt.
Gegen Mittag erreichten sie die Höhe, wo sich der Wald lichtete. Auf den Feldern waren die Bauersleute dabei, die Ernte vorzubereiten. Als sie an einer Gruppe Männer vorbeimarschierten, kniff Sebald die Augen zusammen.
«Verdammt, den Hurensohn da vorne kenn ich doch.»
Er stieß Eva in die Seite. «Los, komm. Statten wir seiner Hütte einen kleinen Besuch ab.»
«Was hast du vor?»
«Wirst schon sehen.»
«Wenn’s was Unrechtes ist, dann ohne mich.»
«Jetzt piss dir nicht ins Hemd. Ich hol mir nur, was mir noch zusteht.»
«Nein!»
«Hör zu, du Hosenscheißer.» Hart packte er Eva beim Arm, während seine Augen böse blitzten. «Ich verlang nur, dass du ein Paternoster lang Schmiere stehst, sonst nix.»
Eva spürte, wie Angst in ihr aufstieg. Die nächstbeste Gelegenheit würde sie ergreifen, um von diesem Schelmenhals loszukommen. Sie schluckte.
«Gut. Aber sag mir wenigstens, worum es geht.»
Sebalds Gesicht wurde freundlicher, und er ließ ihren Arm los.
«Der Saubär hat mir letzten Herbst den Zehrpfennig verweigert. Und das, obwohl ich fast am Verhungern war. Hat mir stattdessen einen Kübel Jauche über den Kopf geschüttet und mich obendrein einen Schelm geheißen. So was macht man mit einem Sebald Ochsenhensel nur ein Mal, das schwör ich dir.»
Widerwillig folgte sie dem Gartknecht, bis sie an einen einsam gelegenen, schäbigen Hof gelangten. Ein mageres Maultier stand in einem halboffenen Verschlag, eine Handvoll Hühner pickte im Staub, Menschen waren keine zu sehen.
Sebald zog sie in den Schatten eines Baumes gegenüber der Haustür.
«Ich geh da jetzt rein und hol mir, was mir zusteht. Keine Angst, kriegst auch was ab. Du hältst ein Aug auf den Weg. Wenn wer kommt, pfeifst du, verstanden?»
Eva nickte. Mit klopfendem Herzen beobachtete sie, wie Sebald das Ohr an die mit einem plumpen Holzstück verriegelte Tür presste und lauschte. «Keine Sau da», murmelte er, «umso besser.» Dann holte er aus und ließ mit einem einzigen Fußtritt die Tür ins Innere krachen.
Eva war kurz davor, in Richtung Wald davonzustürzen, als sie einen gellenden Schrei voller Angst und Verzweiflung hörte, danach immer wieder die Worte: «Erbarmen!» Es war die Stimme einer jungen Frau.
Ohne nachzudenken, stürzte Eva in die Hütte. Was sie im Halbdunkel vorfand, ließ ihr den Atem stocken: Auf dem Boden lag ein Mädchen, blutjung noch, das Schnürmieder aufgerissen, Sebald mit seinem ganzen Gewicht auf ihm. Das Mädchen zappelte und wehrte sich unter Schreien, immer wieder schlug dieser Dreckskerl ihr ins Gesicht.
«Wirst wohl die Haxn breitmachen!», fluchte er jetzt.
«Hör auf!», brüllte Eva und schüttelte ihn an der Schulter. «Hör sofort auf!»
«Halt die Goschn, Adam.»
Sebald holte mit der Rechten aus und versetzte Eva einen Schlag gegen die Brust, der sie zu Boden taumeln ließ. In diesem Moment sah sie hinter einem Vorhang ein Gesicht hervorlugen, die Augen vor Entsetzen weit aufgerissen. Es war das Gesicht eines Knaben in Niklas’ Alter. Von ihm bis zur offenen Haustür waren es höchstens drei Schritte.
«Hol Hilfe!», rief Eva ihm zu. «Lauf!»
Der Junge hatte noch nicht die Schwelle erreicht, da war Sebald schon auf den Beinen und hetzte ihm nach. Auch Eva hatte sich aufgerappelt, ihre Hand griff nach dem Messer, das sie am Hosenbund trug. Sie würde diesen widerwärtigen Kerl umbringen!
Das gleißende Sonnenlicht draußen stach ihr wie Feuer in die Augen, als sie gegen den Körper des Jungen prallte, den der Landsknecht zu Boden gerissen hatte und jetzt im Schwitzkasten hielt. Einen Atemzug lang gewahrte sie Sebalds erstaunten Blick, als sie ausholte, um ihm ihr Messer in den Hals zu rammen – indessen zu langsam. Mit einer einzigen Drehbewegung seines Armes schlug Sebald ihr in hohem Bogen das Messer aus der Hand, dann krachte seine Faust ihr mitten ins Gesicht, und ein jäher Schmerz riss sie in die Bewusstlosigkeit.
Etwas Warmes umgab ihre Hand. Sie spürte, wie ihre Finger an dem sandigen Boden klebten. Eva öffnete die Augen, blinzelte, bis das Bild klarer wurde: Ihre rechte Hand lag in einer dunklen Lache. Ihr Herzschlag stockte. Woher kam all das Blut? Was um Himmels willen war geschehen? Lag sie im Sterben?
Mühsam hob sie die schmerzende Stirn, wandte den Blick zur Seite und erkannte, dass es nicht ihr Blut war. Vor ihr lag mit verrenkten Gliedern der kleine Kerl – oder das, was von ihm übrig war. Sein Kopf
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