Die Vagabundin
angeblich schwach waren und weniger klug als Männer, ebenso geschickt und mutig kämpften, kaum vermummten sie sich als Landsknecht?
Eva hatte über solche Dinge noch nie mit jemandem gesprochen. Nun aber, in ihrer Einsamkeit mitten unter Menschen, auf dieser holprigen Straße quer durch die Donauniederung, waren ihre Gedanken so klar, dass sie sie hätte einem Gelehrten vortragen können. Vielleicht sollte sie sich ja als Scholar verkleiden, dachte sie und lächelte bitter. Dann würde man ihr wenigstens zuhören.
Zwischen den Feldern tauchten die Mauern der Benediktinerabtei Oberaltaich auf. Das Schankmädchen hatte ihr das Klostergasthaus als saubere und wohlfeile Reiseherberge empfohlen, in der Frauen und Männer in getrennten Kammern schliefen. Das zumindest versprach eine angenehme Nachtruhe. Und morgen früh dann wollte Eva entscheiden, in welche Himmelsgegend sie weiterziehen würde. Denn dass sie weiterzog, darüber gab es fürsie nun keinen Zweifel mehr. Nicht nur, dass ihre Mannskleider Schutz und Bewegungsfreiheit versprachen – sie verliehen ihr als Frau auch die einzigartige Gelegenheit, an den Vorrechten der Mannsbilder teilzuhaben. Und nicht zuletzt hielt sie sich mit dieser Aufmachung aufdringliche Kerle vom Leib. Von denen hatte sie nämlich ein für alle Mal die Nase voll.
In diesem Augenblick donnerte es. Eva fuhr herum. Dort, wo Straubing lag, hatten sich die Wolken schwarz zusammengezogen, und grelle Blitze zuckten über den Himmel. Also weiter, dachte sie, weg von Straubing. Und dann: Gott will mir ein Zeichen geben. Er ist einverstanden mit meiner Entscheidung.
Der Gasthof erwies sich als ein sauber verputztes, zweistöckiges Steinhaus vor dem Tor einer riesigen, befestigten Klosteranlage. Auch innen wirkte alles freundlich und kommod. Unter der wuchtigen Balkendecke wartete ein gutes Dutzend Tische auf die Gäste, kein Krümchen fand sich auf dem mit Ziegeln gepflasterten Boden. Neben dem Türbogen zur Küche hin stand ein mächtiger Steinofen, in dem ein Knecht eben das Feuer schürte.
Da es noch früh am Nachmittag war, gehörte Eva zu den Ersten, die um ein Nachtlager baten. Nachdem sie ihren Obolus entrichtet hatte, führte der Klosterwirt sie hinauf in die größere der beiden Dachkammern. Die Strohmatten lagen nicht auf dem Boden, sondern auf massiv gezimmerten Bettgestellen.
«Du hast noch die Wahl. Ich kann dir ein Bett unterm Fenster empfehlen, da ist die Luft frischer. Weiberbesuch ist verboten. Essen gibt’s in einer Stunde, unser gutes Klosterbier steht jetzt schon bereit.»
Eva bedankte sich einmal mehr mit viel zu hoher Stimme! Erschrocken sah sie den Wirt an – es musste an der Müdigkeit liegen, die ihr plötzlich wie eine Lähmung in die Glieder fuhr.Dem guten Mann indessen schien nichts aufgefallen zu sein. Als Zeichen, dass die Bettstatt belegt war, schlug er die Decke zurück, legte ein Holzplättchen mit ihrer Nummer aufs Kopfkissen und ging hinaus.
Eva sah sich um. Außer ihr waren nur noch zwei ältere Männer im Raum, von nebenan hörte sie helles Frauengelächter. Hungrig war sie nicht, nach der üppigen Brotzeit in der Waldschenke, außerdem wollte sie ihr weniges Geld zusammenhalten. Sie würde sich einen Krug Bier bestellen und frühzeitig schlafen gehen.
Nachdem sie ihr Bündel unter dem Bettgestell verstaut hatte, zog sie die Papierrolle aus der Rocktasche, auf der ihr Ursula Wolffin ein hervorragendes Zeugnis hatte schreiben lassen. Ein halbes Jahr, stand darin in gestochen scharfen Buchstaben zu lesen, habe sie im Haus des ehrbaren Ratsherrn und Kaufmanns Endress Wolff zu Straubing in Diensten gestanden und sich in solcher Zeit überaus fleißig, friedsam und ehrlich gezeigt. Jeder neuen Haushaltung sei sie deshalben aufs höchste anzuempfehlen, als Köchin wie als Dienstmagd.
Als Köchin wie als Dienstmagd, wiederholte Eva halblaut und schüttelte den Kopf. Dieses Papier würde sie nicht mehr brauchen können, ebenso gut konnte sie es zerreißen! Sie war drauf und dran, es zu tun, als sie erneut Gekicher aus der Frauenkammer hörte. Himmel, wie dumm wäre sie beinahe gewesen! Wenn sie selbst den Brief nicht verwenden konnte, dann doch vielleicht ein anderes Weib. Irgendeine Magd auf der Suche nach einer Anstellung. Schließlich ließ sich der Name auf solcherlei Papieren leicht fälschen, davon hatte sie gehört.
Beinahe zärtlich strich sie das Papier glatt und rollte es wieder zusammen. Für ein so gutes Zeugnis würde sie einiges
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