Die Vagabundin
brachten ihr mütterliche Wärme entgegen. So auch die Köchin, die ihr ab dem zweiten Tag heimlich die fettesten Bissen zusteckte.
Beinah zu schnell vergingen die Tage in der Ölmühle. Am Ende bekam sie einen Gulden und sechs Batzen auf die Hand gezählt, so viel wie noch nie zuvor. Auch wenn das, wie Eva fand, rechtmäßig verdientes Geld war, machte sie sich vorsichtshalber gleich nach der Morgensuppe aus dem Staub. Womöglich war dieser Wohlleb aus Calmunz schon unterwegs hierher, und so schien es ihr das Beste, die Straße nach Calmunz ganz und gar zu meiden. Es gab, so hatte sie erfahren, nicht weit von der Mühle einen Abzweig, quer durch die waldigen Hügel, hinüber in den Nordgau und in die Junge Pfalz, und zwar über Schmidmühlen, jenen Marktflecken, wo Alois sich einst so nett um sie gekümmert hatte. Vielleicht sollte sie ihm ja einen Besuch abstatten? Das wäre eine handfeste Probe ihrer Verkleidung. Wenn er sie nicht als Frau erkannte, dann würde nicht mal mehr ihre eigene Muhme sie erkennen! Außerdem: Sie hatte gutes Geld gemacht und könnte sich eigentlich die Freude gönnen, in der noblen Hirschenwirtschaft einmal so richtig herrschaftlich zu speisen!
Mit großen Schritten stapfte sie den schattigen Waldweg hinauf, wo die Luft des Sommertags noch kühl war, und pfiff mit gespitzten Lippen Trink- und Soldatenlieder, die sie unterwegs aufgeschnappt hatte. Ihre Geldkatze war gut gefüllt, ihr Magen auch, und heute Abend würde sie in einem weichen Bett einschlafen. Das Leben konnte so schön sein, so einfach und leicht, wenn man sich morgens nach dem Aufstehen Hosen und Wams über das Hemd zog. Wie eine zweite Haut war ihr diese Verkleidung inzwischen geworden.
Doch an diesem Tag beging sie einen verhängnisvollen Fehler. Im Nachhinein fragte sie sich, ob sie die Erfolge derletzten Wochen zu leichtsinnig und unbesorgt gemacht hatten. Niemals nämlich hätte sie sich zu früheren Zeiten einem Gartknecht angeschlossen, einem dieser geurlaubten Landsknechte, die in Zeiten, wenn der Krieg ein Loch hatte, von Bauer zu Bauer zogen, um zu betteln. Sie pflegten ans Fenster zu klopfen und um den Zehrpfennig zu bitten, auf dass sie weiterzögen. Und wer nichts gab, an dem wurde nicht selten grausam Rache genommen. Töten und Feuerlegen hatten solche Leute ja im Kriegsdienst gelernt.
Sie hätte es wissen müssen, dass sich so etwas bitterlich rächen konnte. Am Rande einer Waldlichtung hatte sie ihn getroffen, den einzigen Menschen, der außer ihr an diesem Morgen unterwegs zu sein schien. Er hatte auf einem Baumstumpf seine Brotzeit eingenommen und sie freundlich gegrüßt. Nachdem er sich als Sebald Ochsenhensel vorgestellt hatte, hatte er sie allerhöflichst gefragt, ob er sich ihr anschließen dürfe, da es hier in diesem Wald ja gar zu einsam sei.
«Da habt Ihr wohl Angst?», hatte sie ihn frech gefragt.
«He, he, Grünschnabel!», hatte der Mann gelacht. «Gib acht, dass dir mein Kurzschwert nicht eins hinter deine zarten Ohren pfeift.»
Dass er ein Landsknecht war, verriet schon seine auffällige Kleidung: Aus den geschlitzten Ärmeln und Beinen seiner Kniehose leuchtete blutrot und grellgelb der Futterstoff heraus, ein Strumpf war blau, einer grün, und auf dem blonden Haar saß eine Kappe mit buntgefärbtem Federschmuck.
Seit dem Kampf um Siena sei er geurlaubt, hatte Sebald Ochsenhensel geklagt, und jetzt auf dem Weg ins Fränkische. Vielleicht würde man dort seine Dienste brauchen können. Allzu vertrauensselig hatte Eva ihm daraufhin erklärt, sie selbst wolle nach Schmidmühlen, in den
Hirschen
.
Erstaunt verzog er da sein vernarbtes Gesicht. «Da musstaber reichlich Kies dabeihaben. Der
Hirschen
ist das teuerste Wirtshaus weit und breit.»
«Aber nein», wehrte sie erschrocken ab. Sie hätte sich ohrfeigen können. «Ich kenn den Neffen des Wirts recht gut, das ist alles.»
«Den Alois? Den kenn ich auch. Hast aber Pech, der ist im Winter auf und davon, mit einem verheirateten Weib. Dem schönsten vom ganzen Flecken.» Er stieß einen anerkennenden Pfiff aus. «Ein rechter Malefizkerl!»
Die Nachricht versetzte Eva einen Stich. Sie hätte den Schankburschen wirklich gern wiedergesehen. Sebald erhob sich.
«Gehen wir. Vielleicht finden wir oben einen Bauern, wo wir anklopfen können. Ich hab nämlich bald schon wieder Hunger.»
Dann hob er lauthals zu singen an:
Die Trommeln klingen weit und breit:
Wohlauf, wohlauf zum Streit!
Doch gibt’s kein Krieg und gibt’s kein
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