Die Vampir-Dschunke
bückte sich. Der junge Mann lag perfekt zwischen den Wagen. Ihn zum Vampir machen wollte sie nicht, denn sie dachte auch an ihre Aufgabe. So suchte sie einen anderen Weg, um Blut zu trinken.
Mit ihren harten Fingernägeln schlitzte sie ihm den linken Handballen auf. Der rote Saft spritzte ihr zwar nicht entgegen, er quoll nur aus der Wunde, aber das reichte ihr.
Sie beugte sich über den Handballen und fing an, zu lecken und zu trinken. Dabei stöhnte sie leicht auf. Es tat ihr wahnsinnig gut, den Lebenssaft zu schlürfen, selbst ohne dass sie ihre Zähne in den Hals des Mannes geschlagen hatte. Das wäre natürlich ein ganz anderer Genuss gewesen.
Nach knapp einer Minute ließ sie den Mann los. Damit er nicht so schnell entdeckt wurde, schob sie den Körper unter einem hochrädrigen Geländewagen in der Nähe.
Der Rest war ein Kinderspiel. Mit dem gestohlenen Schlüssel öffnete sie die Tür des BMW, stieg ein und lachte. Sie konnte nicht anders. Sie musste ihrem Triumph freie Bahn lassen.
Wenig später nahm ihr Gesicht wieder ein normales Aussehen an. Sie fühlte sich gut und startete den BMW. Den Weg, den sie nehmen wollte, musste sie nicht erst suchen. Sie hatte sich schon zuvor überlegt, welche Strecke sie nehmen wollte.
Nach Osten, raus aus London.
Immer in der Nähe des Flusses bleiben. Vielleicht stand des Glück dann auf ihrer Seite. Sie freute sich darauf, die Dschunke zu sehen und vor allen Dingen deren Besatzung...
***
Es war mir alles andere als leicht gefallen, im Büro zu bleiben. Es gab keine Alternative für mich. Ich hatte Justine losgeschickt, und auch Suko war unterwegs. Sie wollten den Fall von zwei Seiten umklammern, ohne dabei zu wissen, ob es überhaupt etwas zum Klammern gab.
Zwischendurch erschien Sir James im Büro. Seinen Gesichtsausdruck hätte man auch als ein Fragezeichen benennen können. So kannte ich ihn nicht, er ließ uns stets freie Bahn und fragte zwischendurch auch nicht nach. In diesem Fall war es anders. Da bekam er Druck von dritter Stelle.
»Gibt es Fortschritte?«
»Nein, Sir. Wie soll ich sagen? Wir können leider nicht hexen, und die andere Seite hält sich versteckt. Ich warte hier auf Suko, der in Chinatown unterwegs ist.«
»Gut, das ist schon mal ein Ansatz. Oft genug weiß man dort mehr als die offiziellen Stellen.«
»Darauf beruht auch meine Hoffnung.« Vom Einsatz der Blutsaugerin erzählte ich Sir James nichts.
Dafür hörte ich ihm zu, wie er sich darüber beschwerte, dass er Druck bekam. »Das zieht Kreise, verdammt noch mal. Die Navy, der Geheimdienst, das Innenministerium, plötzlich arbeiten alle zusammen und haben uns ein Limit gesetzt.«
»Bis wann?«
Sir James winkte ab. »Man will die Nacht noch abwarten.«
»Und dann?«
Der Superintendent lächelte nicht, er grinste nur breit. »Über weitere Pläne bin ich nicht informiert worden.«
»Klar. Dafür sollen wir mal wieder die Kastanien aus dem Feuer holen, verdammt.«
»Sie haben Recht.«
Glenda erschien und fragte, ob Sir James ein Wasser haben wollte. Er lehnte ab. »Ich werde wieder in mein Büro gehen und dort so etwas wie Telefondienst schieben.«
Den Vorsatz konnte er vergessen. Die Tür zum Vorzimmer öffnete sich, und Suko stand auf der Schwelle zu unserem Büro. Seinem Gesicht war anzusehen, dass der Besuch in Chinatown nicht unbedingt ein Reinfall gewesen war.
»Ich glaube, du hast uns etwas zu sagen«, empfing ich ihn.
»Ja, das habe ich...«
***
Justine Cavallo war unterwegs. Sie hatte sich das nördliche Themse-Ufer ausgesucht und fuhr in Richtung Osten. Es war für sie so etwas wie ein Abenteuer. Das deutete auch der Glanz in ihren Augen an. So etwas wie ein menschliches Gefühl überkam sie, und auf ihren Lippen lag ein permanentes Lächeln.
Ob sie einen Erfolg erzielen würde, stand noch in der Schwebe. Aber sie war froh, unterwegs zu sein, und wenn sich Blutsauger auf den Weg gemacht hatten – egal, wie alt sie waren und was hinter ihnen lag –, dann würde sie die finden.
Die großen Dockanlagen hatte sie hinter sich gelassen. Das Gesicht der Landschaft wechselte. Auch am Airport London City war sie vorbeigefahren. Ab jetzt bekam die Gegend ein ländliches Aussehen, und Justine kam sich vor wie aus der großen Stadt hinausgeschleudert.
Justine rollte in der Nähe des Flusses dahin. Ab und zu führte die Fahrbahn auch durch das Überschwemmungsgebiet, das sehr flach war und ihr die Schiffe daher höher vorkamen als normal. Sie schoben sich träge durch
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