Die Vampire
zu.
»Vorsicht«, sagte sie. »Nicht so viel.«
Dr. Ravna ließ seine Blutegel zurück und stahl sich heimlich davon. Beauregard hingegen blieb, obgleich er sich wie ein Eindringling vorkam. Mrs. Churchwards Miene entspannte sich, und ihr Blick bekam nachgerade etwas Traumverlorenes. Beauregard wusste nur zu gut, wie sie empfand. Er umklammerte mit festem Griff sein Handgelenk und schob die steifleinene Manschette über seine Bisswunden hinunter. Geneviève machte Penelope von der Kehle ihrer Mutter los und drückte sie sacht in die Kissen zurück. Ihre Lippen waren scharlachrot, und ihr Teint schimmerte rosig. Ihr Gesicht schien voller, beinahe ebenso lebendig wie zuvor.
»Charles«, befahl Geneviève mit schneidender Stimme. »Hören Sie auf zu träumen.«
Mrs. Churchward schwankte am Rande einer Ohnmacht. Beauregard stützte sie und half ihr in einen Sessel.
»Nie hätte ich … gedacht …«, stammelte sie. »Meine arme, arme Penny.«
Beauregard war gewiss, dass sie ihre Tochter nun ein wenig besser verstand.
»Penelope«, versuchte Geneviève die Aufmerksamkeit der Kranken zu gewinnen. Penelopes Blick wanderte ziellos umher, und ihre Lippen bebten. Sie leckte den letzten Rest des Blutes fort. »Miss Churchward, hören Sie mich?«
Penelope antwortete mit einem behaglichen Schnurren.
»Sie brauchen jetzt Ruhe«, sagte Geneviève.
Penelope nickte, lächelte und ließ flatternd die Lider sinken.
Geneviève wandte sich zu Mrs. Churchward um und schnippte mit den Fingern. Penelopes Mutter schreckte aus ihrem Tagtraum hoch. »In zwei Tagen machen Sie das noch einmal, haben Sie verstanden? Unter Aufsicht. Sie dürfen sich von Ihrer Tochter nicht zu viel Blut entnehmen lassen. Und damit hat es dann auch schon ein Ende. Sie darf keinesfalls abhängig von Ihnen werden. Wenn sie sich ein zweites Mal von Ihnen nährt, wird ihr das wieder auf die Beine helfen. Danach muss sie allein für sich sorgen.«
»Wird sie es überleben?«, fragte Mrs. Churchward.
»Die Ewigkeit kann ich ihr zwar nicht versprechen, aber wenn sie sich vorsieht, wird sie unser Jahrhundert wohl überdauern können. Vielleicht sogar unser Jahrtausend.«
46
Kaffernkrieg
N acht für Nacht schickte Sir Charles Constables mit Farbtöpfen aus, um die am Tage durch Jagos Krieger Christi angebrachten Kreuze von allen in Sehweite des Yard gelegenen Mauern zu tilgen. Bei Sonnenaufgang aber erschienen die schmalen roten Zeichen von neuem, war eine jede hinlänglich weiße Wand zwischen Whitehall Place und Northumberland Avenue damit beschmiert. Godalming beobachtete, wie der Commissioner seiner jüngsten Abordnung von Amateuranstreichern Befehle zubellte.
Muntere Müßiggänger standen, in dicke Mäntel und Schals
gehüllt, umher: feindliche Eingeborene, im Begriff, das Fort zu attackieren. Es gehörte zweifellos zu den klügeren Maßnahmen Warrens, den Yard gegen eine etwaige Bestürmung zu wappnen, indem er für eine ausreichende Anzahl von Gewehren sorgte und Türen und Fenster verstärken ließ. Sowie die Sache sich vom Polizeilichen ins Militärische verschob, hatte der Commissioner Anwandlungen von wahrhafter Tüchtigkeit, die bisweilen herzerquickend wirken konnten. Ein guter Soldat, doch jämmerlicher Polizist; so lautete das Urteil über Sir Charles Warren.
Der Nebel war, dichter denn je, zurückgekehrt. Selbst Vampire fanden ihn undurchdringlich. Obgleich sie im Dunkeln sehen konnten, befähigte sie das keineswegs, sich auch in dieser schwefelgelben Suppe zurechtzufinden. Godalming wachte im Auftrag des Premierministers über Sir Charles. Der Commissioner verlor zusehends den Halt. Bei seinem nächsten Zusammentreffen mit Ruthven beabsichtigte Godalming, Warrens Entlassung vorzuschlagen. Da Matthews bereits seit Monaten den Kopf von Sir Charles forderte, wäre der Minister des Innern - dessen Stuhl ebenfalls beträchtlich wankte - fürs Erste besänftigt.
Irgendwie war es Jagos Leuten gelungen, ihr Kreuz an das Hauptportal des Yard zu malen. Godalming hegte den Verdacht, dass Jago unter den warmblütigen Gendarmen einige Anhänger gefunden hatte. Wer auch immer Sir Charles im Amt nachfolgen mochte, würde zunächst eine Säuberung in den Reihen des Fußvolks unternehmen müssen, ehe er die Ordnung wiederherstellen konnte.
Das St.-Georgs-Kreuz schien ein naheliegendes Symbol für die Rebellen, war es doch gleichzeitig das Kruzifix, dem ein Vampir der Sage nach nicht die Stirne bieten konnte, sowie die Fahne jenes neuen England, dessen
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