Die Vampire
meinte … Sie verstehen …«
»Ich weiß Ihre Besorgnis durchaus zu schätzen«, erwiderte sie, »und in gewissem Maße teile ich Ihre Befürchtungen. Aber ich weiß wirklich nicht, was wir in dieser Sache unternehmen könnten.«
Morrison war innerlich zerrissen. »Dennoch«, sagte er, »mit Dr. Seward stimmt etwas nicht. Wir müssen etwas unternehmen. Irgendetwas.«
45
Trink, trink, mein liebliches Geschöpf
S eit ihrer Berührung war Beauregard wie ausgewechselt. Zwei Tage nun schon quälten ihn die fürchterlichsten Träume. Träume, in denen Geneviève, bisweilen in Gestalt einer mit nadelspitzen Fangzähnen bewehrten Katze, gierig von seinem Blut
schlürfte. So stand es wohl in seinen Sternen. Nach Lage der Dinge wäre er früher oder später ohnehin von einem Vampir angezapft worden. Allein der Güte des Geschicks war es zu danken, dass er freiwillig von seinem Blut gespendet hatte, statt mit Gewalt zum Aderlass gezwungen zu werden. Wenigstens war ihm größeres Glück beschieden als Penelope.
»Charles«, sagte Florence Stoker, »ich rede nun seit beinahe einer Stunde auf Sie ein, und ich behaupte, Sie haben nicht ein Wort verstanden. Es ist Ihnen deutlich anzusehen, dass Sie in Gedanken im Krankenzimmer sind. Bei Penelope.«
Bösen Gewissens beließ er Florence in ihrem Glauben. Eigentlich hätte er an seine Verlobte denken müssen. Wie sie so im Salon saßen und warteten, kamen sie sich töricht und unnütz vor. Florence stürzte eine winzige Tasse Tee nach der anderen hinunter. Dann und wann platzte Mrs. Churchward mit nichtssagenden Neuigkeiten ins Zimmer, und Mrs. Yeovil, die Haushälterin, brachte immer wieder frischen Tee. In seine Gedanken vertieft, schenkte Beauregard ihnen keinerlei Beachtung. Zwar hatte Geneviève ihm Blut entnommen, nicht jedoch ohne dafür ihrerseits etwas zu geben. Vor seinem inneren Auge zerfloss und verlief ihr Bild wie Quecksilber.
Penelope stand in der Obhut Dr. Ravnas, des berühmten Spezialisten für Nervenleiden. Als Vampir hatte er sich auf dem Gebiet der Untoten-Medizin einen beträchtlichen Ruf erworben. In diesem Augenblick war er bei der Kranken und probierte es mit einer neuen Behandlungsmethode.
Da Beauregard sich seit der vorvergangenen Nacht nur mehr in einem Dämmer befand, hatte er seine Pflichten in Whitechapel vernachlässigt. Penelopes Gebrechlichkeit bot ihm eine ebenso willkommene wie fadenscheinige Entschuldigung. In Gedanken war er unentwegt bei Geneviève. Zu seinem Entsetzen verspürte er den Wunsch, sie möge ihn abermals zur Ader lassen. Nicht
allein um ihren Durst an seinem offenen Handgelenk zu stillen, sondern zur vollkommenen Vereinigung im dunklen Kuss. Geneviève hätte zu allen Zeiten als außerordentliche Frau gegolten. Gemeinsam vermochten sie Jahrhunderte zu überdauern. Die Verlockung war beträchtlich.
»Die Hochzeit werden wir dann wohl absagen müssen«, meinte Florence. »Jammerschade.«
Obschon sie keine Gelegenheit zu einer Aussprache gefunden hatten, nahm Beauregard an, dass seine Verlobung mit Penelope nicht mehr bestand. Er hielt es für das Beste, die Sache auf privatem Wege auszufechten. Zwar hatte sich, so hoffte er, im Grunde niemand eines Vergehens schuldig gemacht, doch waren weder er noch Penelope dieselben als zu jener Zeit, da sie ihr Übereinkommen getroffen hatten. Er steckte ohnehin in Schwierigkeiten, und eine Klage wegen Bruchs des Eheversprechens konnte er am allerwenigsten gebrauchen. Zwar stand dergleichen kaum zu erwarten, doch war Mrs. Churchward eine altmodische Frau, die durchaus dem Irrglauben erliegen mochte, dass ihre Tochter beleidigt worden sei.
Genevièves Lippen waren kühl, ihre Berührungen sacht, ihre Zunge wie die einer Katze, lieblich und rau zugleich. So zärtlich, so behutsam hatte sie von seinem Blut getrunken, dass eine betörende Empfindung ihn durchströmte, die ihn von einem Augenblick zum anderen süchtig werden ließ. Er fragte sich, was sie gerade treiben mochte.
»Ich verstehe nicht, was Lord Godalming sich dabei gedacht hat«, fuhr Florence fort. »Sein Benehmen ist höchst sonderbar.«
»Das sieht Art aber gar nicht ähnlich.«
Ein beinahe unmenschlicher Schrei drang durch die Zimmerdecke, gefolgt von einem Wimmern. Florence verzog das Gesicht, und Beauregard stockte das Herz. Penelope litt Schmerzen.
Der Fall Jack the Ripper schleppte sich ergebnislos dahin. Das
Vertrauen, welches sowohl der Diogenes-Club wie auch der Limehouse-Ring in seine Fähigkeiten als Agent und
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