Die Vampire
hätte.
Beauregard zog seinen Stockdegen. Der klirrende Laut ließ die
leisen Nachtgeräusche schlagartig verstummen. Auf Genevièves Nicken bohrte Beauregard die Klinge geradewegs durch Sewards Herz, bis ihre Spitze kraspelnd gegen die Ziegelmauer stieß. Beauregard zog den Degen heraus und schob ihn wieder in die Scheide. Seward brach leblos zusammen. Er sank neben Godalming zu Boden. Zwei Ungeheuer auf einen Streich.
»Gute Arbeit, Sir«, meinte Dravot. »Sie haben die Mörder in die Enge getrieben, und Dr. Seward ist in Raserei verfallen. Er hat seinen Verbündeten vernichtet, und Sie haben ihn im Zweikampf bezwungen.«
Es erzürnte Beauregard, wie ein Schuljunge behandelt zu werden, der von seinen Kameraden eine Ausflucht eingetrichtert bekommt.
»Und was ist mit mir?«
Beauregard und Dravot blickten auf Geneviève.
»Bin ich vielleicht ein ›loses Ende‹? Wie Jack, wie Godalming? Wie das arme Mädchen dort drinnen?« Mit einem Kopfnicken deutete sie auf Mary Jane Kellys Tür. »Sie haben tatenlos mit angesehen, wie er sie hingemetzelt hat, nicht wahr?«
Dravot schwieg.
»Entweder Sie oder Jack haben Godalming umgebracht. Dann, als Sie um die wahre Identität des Rippers wussten, hielten Sie sich im Verborgenen und überließen das Mädchen seinem Schicksal. Eine saubere Sache. Auf diese Weise brauchten Sie sich nicht die Finger schmutzig zu machen.«
Dravot zögerte. Beauregard war gewiss, dass der Sergeant eine mit Silberkugeln bestückte Pistole bei sich trug.
»Wir sind gerade zur rechten Zeit gekommen«, fuhr sie fort, »um einen Schlussstrich unter die Angelegenheit zu ziehen.« Geneviève hielt Sewards Skalpell in ihrer ausgestreckten Hand. »Wollen Sie es vielleicht hiermit versuchen? Das wäre doch nur recht und billig.«
»Geneviève«, sagte Beauregard. »Ich verstehe nicht ganz …«
»Nein, wie solltest du auch. Armer Charles. Unter Blutsaugern wie Godalming und Kreaturen wie Dravot bist du nichts als ein verirrtes Lamm. Wie auch Jack Seward eines war.«
Beauregard starrte Geneviève lange an, ehe er sich zu Dravot umwandte. Nötigenfalls würde er sie mit seinem Leben verteidigen. Seine Loyalität an den Diogenes-Club hatte durchaus ihre Grenzen.
Der Sergeant war verschwunden. Jenseits des Bogenganges teilte sich der Nebel. Bald würde die Sonne aufgehen. Geneviève trat vor ihn hin, und er schlang die Arme um sie. Die Welt war wieder im Lot. Gemeinsam waren sie der Fixpunkt.
»Was hat sich hier zugetragen«, fragte sie, »was hat sich hier wirklich zugetragen?«
Er wusste es noch nicht.
Ermattet verließen sie Miller’s Court und traten auf die Dorset Street hinaus. Gegenüber machten zwei Constables schwatzend ihre Runde. Geneviève stieß einen Pfiff aus, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Das ohrenbetäubende Trillern war kein menschlicher Laut. Es durchbohrte sein Trommelfell wie eine Nadel. Die Gendarmen eilten mit gezücktem Knüttel herbei.
»Der Held bist du«, flüsterte sie ihm zu.
»Weshalb?«
»Du hast keine andere Wahl.«
Die Polizisten standen vor ihnen. Sie sahen schrecklich jung aus. Einer der beiden war Collins, den Beauregard bei seiner Unterredung mit Sergeant Thick kennengelernt hatte. Collins erkannte Beauregard und salutierte halbherzig.
»In dieser Gasse liegt eine tote Frau«, erklärte Beauregard. »Und zwei ebenso tote Mörder. Jack the Ripper ist nicht mehr.«
Collins blickte erschrocken drein. Dann grinste er. »Ist es vorbei?«
»Es ist vorbei«, antwortete Beauregard voller Überzeugungskraft, doch ohne jede Überzeugung.
Die beiden Constables stürzten in Miller’s Court. Kurz darauf kamen sie wieder hervor und bliesen kräftig in ihre Pfeifen. Bald würde es in dieser Gegend von Polizisten, Journalisten und Sensationssüchtigen nur so wimmeln. Beauregard und Geneviève würden ihre Geschichte bis zur Erschöpfung wiederholen müssen.
Vor seinem geistigen Auge sah Beauregard den Ripper in dem kleinen Hinterzimmer neben den blutigen Überresten Mary Jane Kellys knien. Geneviève schauderte ebenso wie er. An dieses Bild würden sie sich ein Leben lang erinnern.
»Er war wahnsinnig«, sagte sie, »und für seine Taten nicht verantwortlich.«
»Aber«, fragte er, »wer ist denn dann verantwortlich?«
»Das Wesen, das ihn in den Wahnsinn getrieben hat.«
Beauregard richtete den Blick gen Himmel. Die letzten Mondstrahlen schienen durch den lichten Nebel auf sie herab. Ihm war, als habe er eine riesenhafte schwarze Fledermaus
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