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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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Dokument aus der Schublade und schob es Poe über den Tisch. Der betrachtete es aufmerksam.
    Es war die Kopie eines Buchumschlags. Der rote Kampfflieger von Rittmeister Manfred Freiherr von Richthofen. Die krude Illustration zeigte einen geflügelten roten Schatten über einem abstürzenden feindlichen Flugzeug.
    »Richthofen hat seine Autobiografie verfasst?«
    »Der Freiherr ist ein Krieger und kein Mann des Wortes. Seine Geschichte bedarf der Bearbeitung durch einen Meister der Erzählkunst. Durch Sie, Herr Poe.«

    Allmählich begriff er, was man von ihm erwartete.
    »Sie wollen, dass ich ihm anonym die Feder führe?«
    »›Anonym‹? Genau. Sie werden Richthofens Anonymus.«
    Ewers kauerte im Schatten. Poe fragte sich, was er in dieser Angelegenheit für eine Rolle spielen mochte. Wenn H. H. Ewers tatsächlich ein so großer Schriftsteller war, weshalb verlangte dann nicht er nach dieser Ehre?
    »Da er der deutschen Sprache mächtig ist, wird Ihnen Herr Ewers als Lektor zur Seite stehen.«
    Ewers’ Miene verdüsterte sich zusehends. Seine vorgespiegelte Berühmtheit schwand von Sekunde zu Sekunde weiter dahin. Er glich weniger einem Doppelgänger als einem Botenjungen.
    »Sie werden unverzüglich zum Château du Malinbois aufbrechen, wo Richthofen mit seinem ersten Jagdgeschwader stationiert ist. Unser bescheidener Held hat sich zu einer ausführlichen Unterredung bereiterklärt. Verwenden Sie, wenn möglich, seine Worte, aber machen Sie mehr daraus als eine Sammlung dröger Kriegsgeschichten. Ich spreche aus Erfahrung, wenn ich Ihnen sage, dass die meisten Helden langweilige Burschen sind. Fangen Sie die Wahrheit ein, Herr Poe, aber polieren Sie sie ein wenig auf. Hauchen Sie ihr den Geist Ihrer Erzählungen ein. Aufregende Schlachten, außergewöhnliche Figuren, die ihrem Schicksal nur mit knapper Not entrinnen. Ein Buch ist überflüssig, wenn es niemand lesen möchte.«
    Die Anonymität bereitete Poe keinerlei Kopfzerbrechen. Angesichts seiner derzeitigen Zweifel war es vermutlich sogar besser, wenn seine Urheberschaft geheim blieb. Er wusste nicht recht, ob er für derlei niedrige Skribententätigkeiten überhaupt geeignet war. Andererseits war er seit jeher nicht nur Dichter, sondern auch Journalist. Vielleicht ließen sich die kläglichen Überreste seiner verhärmten Muse zu diesem Zweck wiederbeleben.
    »Sie müssen rasch arbeiten. Die Ereignisse überstürzen sich,
wie Sie schnell feststellen werden, wenn Sie erst einmal an der Front sind …«
    Die Front! Das Château du Malinbois lag im Brennpunkt des Krieges. Er würde ruhmreiche Schlachten schlagen. Nicht als Soldat, sondern als Dichter würde er in den Krieg ziehen. Er bekam die einmalige Gelegenheit, das Unrecht der Schlacht von St. Petersburg wiedergutzumachen. Wenn die Welt ihn enttäuschte, so musste er die Welt nach seinem Gusto umgestalten.
    »Sie dürfen über Richthofens Vergangenheit jedoch keinesfalls die Gegenwart vergessen. Wenn Deutschland die Luftherrschaft zurückerobert, werden Sie zugegen sein, um die Siege für die Nachwelt festzuhalten.«
    Die Stimme des Direktors klang besänftigend und überzeugend. Poe schwoll die Brust. Eine Pforte öffnete sich in seinem Geist: Bald würden die Worte wieder fließen. Er nahm Haltung an und salutierte.
    »Dr. Mabuse, ich werde die mir auferlegte Pflicht nach bestem Wissen und Gewissen erfüllen, zum Ruhme des Kaisers und um die Sache der Mittelmächte zu befördern.«
    »Herr Poe, mehr können wir von Ihnen nicht verlangen.«

11
Quo vadis, Kate?
    O bgleich sie den warmblütigen Männern keinen Anlass gab, sie zu beachten, vibrierten ihre nosferatu- Sinne. Der Luftangriff nahm ihre Aufmerksamkeit so sehr gefangen, dass Charles und sein Gefährte Edwin Winthrop sie schwerlich ertappen würden. Der hochgewachsene Vampir mit dem mächtigen Schnurrbart
jedoch, der über die beiden wachte, bereitete ihr Unbehagen. Es war nicht leicht, ihrer Spur zu folgen, ohne Dravot ins Gehege zu geraten. Der Sergeant hielt sich seit jeher oftmals in Charles’ Nähe auf. Nun galt sein Interesse dem jüngeren Offizier. Allein dies gab Anlass zu allerlei Vermutungen.
    Kate hatte Charles den ganzen Abend schon beschattet. Er zählte zu den aufmerksamsten Vertretern seines rauen Gewerbes, doch ihre Nachtsinne wurden von Jahr zu Jahr feiner und schärfer. Das rege Treiben von Paris erlaubte es, bequem in der Menge unterzutauchen. Ihre geringe Körpergröße tat ein Übriges. Wenn sie sich unter größere Menschen

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