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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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mischte, war sie wie eine Maus: Ein Schal verhüllte die untere Hälfte ihres Gesichts, ihre Hände steckten in ihren Mantelärmeln, und eine Strickmütze verbarg die Spitzen ihrer Ohren.
    Alle anderen blickten auf, doch sie betrachtete das Pflaster, tastete sich eher hörend denn sehend voran, ganz auf Charles’ Stimme konzentriert. Im Lärm des Luftangriffs gingen die meisten Worte unter, doch Charles’ Timbre war leicht zu erkennen. Die Angehörigen ihres Geblüts besaßen ein ausgezeichnetes Gehör, was ihr als Reporterin nur zustatten kam.
    Die Zeppeline befanden sich auf der anderen Seite des Flusses. Da sie über den Wolken schwebten, waren sie zwar nicht zu sehen, doch das fortwährende Dröhnen der Motoren war deutlich zu hören. Bombenexplosionen in der Ferne wurden von Schmährufen und Flüchen übertönt. Ziellose Schüsse verpufften am Himmel. Bei jeder Detonation bebte die Erde. Brände breiteten sich ungehindert aus.
    Im Vorübergehen schlug ihr jemand die Brille von der Nase und entschuldigte sich flüchtig auf Französisch. Blitzschnell fischte sie die Augengläser aus der Luft und setzte sie sich blinzelnd wieder auf. Mit flatterndem, rot gesäumtem Umhang verschwand das Raubein im Gedränge. Einen Moment lang glaubte
sie ihre Jagdbeute verloren, doch da hörte sie Charles’ Stimme, Gesprächsfetzen trieben durch den Lärm zu ihr heran.
    Die Zeppeline näherten sich dem quartier, und unter den Passanten machte sich Panik breit. Pfeifend und donnernd fielen Bomben ohne Unterlass. Heute Nacht legten die Deutschen mit Brandbomben ganze Straßenzüge in Schutt und Asche. Sonst gossen Draculas Luftschiffe brennende Flüssigkeit aus, die an nacktem Fleisch haftete wie Pech. Das Zeug, das mit Wasser nicht zu löschen war, fraß sich durch bis auf die Knochen. Vampire mochten robuste Naturen sein, doch Feuer und Silber brachten auch ihnen den Tod. Da es in Europa von Untoten nur so wimmelte, hatte der Krieg zur Entwicklung grausiger Höllenmaschinen geführt, die dem seligen Van Helsing diebisches Vergnügen bereitet hätten. Fabrikanten, die Anteile an Silberminen besaßen, wurden über Nacht zu Rüstungsmillionären. Lady Jennifer Buckingham von der Brigade Freiwilliger Sanitäterinnen führte eine Silbersammlung durch und überredete die Reichen, Kaffeekannen und Kerzenleuchter gegen Bomben und Bajonette einzutauschen.
    Während Charles im Théâtre Raoul Privache gewesen war, hatte sie draußen gewartet und das Kommen und Gehen der Besucher aufmerksam verfolgt. Edwin war ihr sofort aufgefallen; er gemahnte sie an Charles in Whitechapel während der Zeit des Schreckens, verwirrt und doch verschwiegen. Dravot folgte Edwin auf dem Fuße, ein sicheres Zeichen. Da sie um die Besonderheit des Raoul Privache wusste, war sie nicht allzu erstaunt, als der Engländer das Theater bereits vor Ende dessen, was man als den ersten Akt hätte bezeichnen können, wieder verließ. Selbst nach dreißig Jahren des Daseins als vermeintliches Geschöpf schauriger Finsternis flößten Kate die Ältesten Entsetzen ein. Isolde, eine der ältesten der Alten, war schwerlich eine gute Reklame für das ewige Leben.
    Eine kleine Schar von Amerikanern drängte sich stolpernd und
strauchelnd zwischen sie und ihre Beute. Einer von ihnen war verletzt, vermutlich hatte er nach übermäßigem Champagnergenuss oder infolge des Luftangriffs den Halt verloren. Aus seiner klaffenden Kopfwunde ergoss sich reichlich frisches Blut, überströmte sein knabenhaftes Antlitz und befleckte seine Uniform. Das Blut war ein unendlich faszinierendes Gemisch aus Scharlachrot und Gold. Sie wand sich vor Verlangen. Unter wohligen Schmerzen glitten die Fangzähne aus ihren Kieferscheiden. Sie hatte sich seit Nächten nicht genährt. Bald schon würde sie dieses unschöne Geschäft in Angriff nehmen müssen. Spitze Nägel staken in ihren Fäustlingen.
    Die Soldaten machten große Augen. Sie musste aussehen wie eine Vogelscheuche. Ihr Schal löste sich und entblößte ihren Mund. Der Geruch von Blut lag in der Luft. Der verletzte Infanterist war zu Tode erschrocken. Milchbärte wie ihn gab es wie Sand am Meer: Bauernburschen, die niemals einen echten Vampir zu Gesicht bekommen hatten, den Kopf voller Gruselgeschichten. Mühsam schloss sie die Lippen über spitzen Augenzähnen. Sie versuchte ein Lächeln, und ein fürchterlicher Schmerz durchzuckte ihr Gesicht. Vielleicht verwandelte sie sich allmählich doch in ein abstoßendes Monstrum.
    Nachdem sie ein

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