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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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und küsste ihm die Hand, presste ihre Lippen auf seine schaufelförmigen Nägel. Er ließ sich ihre Aufmerksamkeit gefallen, war jedoch in größter Eile.
    Obwohl er nicht eben dazu neigte, sich vor den Großen und Vornehmen zu beugen und zu buckeln, nahm auch Poe Haltung an. Ein Wort von Dracula würde genügen, um ihn von dem schauderhaften Ewers zu befreien und ihm eine angemessene Stellung zu verschaffen. Schon sein Großvater, General David Poe, war ein Kriegsherr gewesen, im Unabhängigkeitskrieg.
    Eine Menschentraube versperrte Dracula den Weg. Der Graf konnte sich nicht unter die Leute wagen, ohne von Danksagern,
Bittstellern und Opportunisten umringt zu werden. Poe besann sich auf seine Verdienste und drängte sich nach vorn hindurch. Das Gespräch zwischen Poe und Dracula. Ein Meilenstein in der Geschichte der Imagination. Je näher er der entourage des Grafen kam, desto dicker wurde die Luft, schwer und gesättigt. Als Poe den Kriegsherrn fast erreicht hatte, verlangsamten sich seine Schritte wie im Traum. Die Hintergrundgeräusche erstarben, und Poe hörte das Pochen eines ungeheuren Herzens, einen Trommelschlag des Lebens, der alles andere zum Verstummen brachte.
    Im Vorübergehen wandte der Graf den Kopf. Er ließ den Blick über die Menge schweifen, erkannte Poe jedoch nicht wieder. Poe kam schlitternd zum Stehen und gaffte den Ältesten fassungslos an. Dracula eilte weiter. Zwei gefiederte Karpater, eine von ihnen eine Kriegerin mit tätowiertem Gesicht, hielten ihm den Rücken frei. Ihr feindseliger Blick nahm Poe den Mut. Der Älteste schritt unbehelligt durch den Saal und ließ die Bittsteller allein zurück. Die weinende Witwe suchte in den Armen eines konsternierten Unterführers Trost.
    Poe spürte, wie die außerordentlichen Bedingungen, die in unmittelbarer Umgebung des Grafen herrschten, allmählich nachließen. Die gewöhnlichen Geräusche und Gerüche kehrten zurück und betörten seine Sinne.
    Die Präsenz des Kriegsherrn war überwältigend und von nachhaltiger Wirkung. Ewers war wie elektrisiert und vermochte seine nervösen Energien kaum zu bändigen. Die Zeitungen voller schlechter Neuigkeiten von der Front waren vergessen. Die Offiziere steckten die Köpfe zusammen und besprachen neue Wege zum ruhmreichen Sieg. Sie waren sich einig, dass der große Durchbruch kurz bevorstand, ein vernichtender Schlag gegen Paris, ehe die Amerikaner in großer Zahl ins Kriegsgeschehen eingriffen.

    Poe konnte Draculas Augen nicht vergessen.
    Die adlergeschmückte Flügeltür öffnete sich wie von Geisterhand für die entourage des Grafen. Die Soldaten marschierten in die Halle und erklommen eine breite Treppe. Selbst durch die geschlossene Tür hörte Poe den Klang ihrer Stiefel auf den Marmorstufen. Der Herzschlag pulsierte in seinem Hirn, gab den Takt an für die Ausweitung des Reiches.
    Über drei Viertel der anwesenden Vampire waren von Draculas Geblüt. Poe kam sich fehl am Platze vor: Virginia hatte den Namen ihres Fangvaters niemals erfahren, obgleich sie die Vermutung hegte, es könne sich um einen Spanier handeln. Er nannte sich Sebastian Newcastle. Der Vampir hatte den Dichter des Unheimlichen aufsuchen wollen, jedoch nur Mrs. Poe zu Hause angetroffen und sie daraufhin aus einer jähen Laune heraus verwandelt. Da weder Poe noch Virginia ihre Gestalt zu wandeln vermochten, stand fest, dass Newcastle nicht von Draculas Geblüt war. Dann und wann befiel Poe das heftige Verlangen, den Vampir aufzuspüren, der seine Virginia verwandelt hatte, doch seine Nachforschungen verliefen jedes Mal im Sande.
    Im Wartesaal kehrte wieder Ruhe ein. Selbst das Herz des Grafen, das im Einklang mit Poes Puls geschlagen hatte, war nicht mehr zu hören.
    Sein Blick fiel auf den Frontsoldaten, der allein auf seiner Chaiselongue saß. Anders als der General und der Diplomat hatte er sich beim Eintreten des Grafen nicht erhoben. Sein Schoß war rot gefleckt. Blut rann seine Kniehosen hinab in seine Stiefel. Eine frische Wunde hatte sich geöffnet. Womöglich würde er hier sterben.
    Sein hohler Blick war den Karpatern gefolgt und klebte nun an der adlergeschmückten Flügeltür. Mit saurer Miene wandte der Soldat sich ab und spuckte auf den Boden. Als er sich vorbeugte, um zu husten, zitterte er am ganzen Körper. Nachdem er Kehle
und Nase entleert hatte, sank er langsam in die Chaiselongue zurück.
    »Unverschämtheit«, sagte Ewers. »Diese Posse wird nicht ohne Folgen bleiben. Das kann ich Ihnen …«
    Da erschien

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