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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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der Schreiber und blickte sie an.
    »Ach«, Ewers war erfreut, »endlich.«
    »Baumer«, sagte der Schreiber, und seine helle Stimme hallte von den Wänden wider. »Feldwebel Paul Baumer.«
    Ewers war außer sich, weil man ihn erneut übergangen hatte. Er hielt nach dem bedauernswerten Feldwebel Ausschau, um ihm ordentlich die Meinung zu geigen.
    »Paul Baumer«, rief der Schreiber ein zweites Mal.
    Niemand trat vor. Poe blickte den Soldaten an und sah das letzte Flattern seiner bleischweren Lider.
    »Ich glaube, das ist Baumer«, sagte er und blickte auf.
    Mürrisch murmelnd wandte sich der Schreiber dem Boten von der Front zu.
    »Feldwebel Baumer«, sagte er. »Sie können jetzt hineingehen.«
    Baumer bewegte die Schultern, doch es gelang ihm nicht, sich zu erheben. Die Depesche glitt aus seiner Achselhöhle und plumpste auf den marmornen Fußboden.
    »Unverschämtheit«, sagte Ewers, als verstelle Baumer persönlich ihm den Weg in Dr. Mabuses Stube.
    Am veränderten Geruch von Baumers Blut erkannte Poe, dass der Mann tot war. Die Hände, mit denen er sich den Bauch gehalten hatte, erschlafften und gaben den Blick auf seine feuchte Magengrube frei. Ein Insekt landete auf seiner Hand und breitete die Schwingen aus - ein Schmetterling. Der Schreiber wischte ihn weg und fühlte dem toten Mann den Puls. Er rief die Wärter herbei und trug ihnen auf, den Leichnam fortzuschaffen. In den Vertiefungen, die Baumer in der Chaiselongue hinterlassen hatte, sammelte sich Blut. Ohne den Toten eines Blickes zu würdigen,
fing der Diplomat den Schmetterling in seiner Hand, betrachtete erst seine Flügelzeichnung und schob ihn sich dann in den Mund.
     
    Der Schreibtisch schien sich über die Breite eines Tennisplatzes zu erstrecken. Dr. Mabuses Sessel stand erhöht, so dass er über die riesige, polierte Holzfläche auf sein Gegenüber hinabblicken konnte. Der Leiter des Kriegspresseamtes legte augenscheinlich großen Wert darauf, dass andere zu ihm aufsahen. Poe bemerkte, dass der Doktor von eher schmächtiger Statur war.
    Mabuse hatte wirres weißes Haar und die roten Augen eines trunksüchtigen Neugeborenen. Er trug einen weißen Chirurgenkittel und um den Hals ein Eisernes Kreuz an einem schwarzen Band. Zu Ewers’ offenkundigem Verdruss zeigte sich der Chef begeistert, Herrn Edgar Allan Poe kennenzulernen.
    »Ich habe den Namen meines Stiefvaters längst abgelegt, Herr Doktor. Als Edgar Poe bin ich zur Welt gekommen, und als Edgar Poe werde ich sie verlassen. Das Andenken John Allans braucht uns nimmermehr zu kümmern.«
    Dr. Mabuses Augen leuchteten. »Sie haben mich ungeheuer inspiriert, Herr Poe. Ihre Geschichten ›Die Tatsachen im Falle Valdemar‹ und ›Mesmerische Offenbarung‹ haben meine Faszination für die Kunst der Hypnose geweckt.«
    Vor dem Krieg, vor seiner Verwandlung war Mabuse eine Autorität auf dem Gebiet des Mesmerismus gewesen und hatte sich zu öffentlichen Schaustellungen hinreißen lassen. Kein Wunder, dass ein Mann von seinem Ansehen und Talent nun für die Propaganda zuständig war.
    »Jeder Krieg braucht seine Helden, Herr Poe. Ganz besonders dieser Krieg. Da sie von Natur aus zurückhaltend sind, muss man für die meisten Helden die Trommel rühren.«
    Dr. Mabuse sprach, als hielte er eine Rede. Die Lampen auf
dem Schreibtisch verschatteten sein Gesicht zu einer Maske und brachten seine Augen zum Glühen. Zu Beginn des Krieges hatte Mabuse Turnanstalten besucht und Schülern und Studenten Vorträge gehalten. Die Zuhörer hatten sich nach seinen Vorlesungen nicht selten massenhaft freiwillig gemeldet.
    »Ich nehme an, Manfred von Richthofen ist Ihnen bekannt.«
    »Der Flieger?«
    »Der Flieger. Unser wichtigster Krieger der Lüfte. Zweiundsiebzig Siege.«
    Auch Poe hatte den Menschheitstraum vom Fliegen geträumt. In seinen warmblütigen Tagen hatte er den Ballon-Jux verfasst, und in der Schlacht von St. Petersburg hatte er den Kriegseinsatz von Luftschiffen und Kampfflugzeugen vorhergesagt.
    »Die Alliierten brüsten sich, sie seien uns im Luftkampf an der Westfront überlegen«, sagte Dr. Mabuse und verzog die Lippen zu einem schiefen Lächeln. »Das wird sich noch vor Frühlingsanfang ändern.«
    »Deutschland hat die besseren Flugzeuge«, brummte Ewers.
    »Deutschland hat die besseren Männer. Das ist das Geheimnis unseres Sieges. Welche mechanischen Erfindungen man auch gegen uns richtet, wir Deutschen werden allein dank unseres Kampfgeistes die Oberhand gewinnen.«
    Dr. Mabuse zog ein

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