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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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größer war als das der gähnenden Reporter in der ersten Reihe - den Erklärungen, um die Baxter ihn ersuchte.
    »Wir wissen noch zu wenig darüber, welche präzisen Veränderungen
die sogenannte ›Verwandlung‹ des Lebenden in einen Untoten beim Menschen hervorruft. Exakte Kenntnisse sind schwer zu erlangen, und der Aberglaube schwebt über diesem Thema wie der Nebel über London. Die Öffentlichkeit ist meinen Studien mit Indifferenz, ja sogar Feindseligkeit begegnet. Wir alle könnten aus der Forschung unseren Nutzen ziehen. Vielleicht versetzte sie uns in den Stand, jene Klassen, die für solch tragische Vorfälle wie den Tod dieses Mädchens die Verantwortung tragen, aus unserer Gesellschaft zu tilgen.«
    Unter den Anarchisten wurde Unmut laut. Ohne Klassen war all ihr Tun und Handeln sinnlos.
    »Ein Gutteil dessen, was wir über den Vampirismus zu wissen glauben, ist nichts weiter als Legende«, fuhr Dr. Jekyll fort. »Der Pflock durchs Herz, die silberne Sichel. Zwar ist der Leib eines Vampirs von bemerkenswerter Zähigkeit, doch scheint jede schwererwiegende Verletzung der lebenswichtigen Organe zum wirklichen Tode zu führen, wie in diesem Fall geschehen.«
    Baxter machte »Hm« und fragte den Arzt: »Dann ist der Mörder Ihres Erachtens also nicht nach der womöglich als abergläubisch zu bezeichnenden Methode des gewöhnlichen Vampirmörders zu Werke gegangen?«
    »Das will ich meinen. Ich möchte einige Umstände zu Protokoll geben, und sei es, um unverantwortlichem Journalismus a priori einen Riegel vorzuschieben.«
    Bei einigen Reportern regte sich leiser Widerspruch. Ein Schnellzeichner, der unmittelbar vor Geneviève Platz genommen hatte, fertigte mit flinken Fingern ein Porträt Dr. Jekylls, das zweifellos in der Illustriertenpresse Verbreitung finden würde. Er setzte dunkle Schatten unter die Augen des Zeugen, um ihn unglaubwürdiger erscheinen zu lassen.
    »Wie auch die Nichols und die Chapman wurde die Schön nicht mit einem hölzernen Pflock oder Spieß durchbohrt. Ihr wurden
weder Knoblauchzehen noch Teile einer Hostie oder gar aus einer Heiligen Schrift herausgerissene Seiten in den Mund gestopft. Weder bei noch in der Nähe ihrer Leiche wurde ein Kruzifix oder sonst ein kreuzförmiger Gegenstand gefunden. Die Feuchtigkeit ihrer Röcke sowie die Wassertropfen in ihrem Gesicht rührten allem Anschein nach von der Kondensierung des Nebels her. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass der Leichnam mit Weihwasser besprengt wurde.«
    Der Künstler, vermutlich der Mann von der Police Gazette, zeichnete Dr. Jekyll buschige Augenbrauen und versuchte das dichte, gleichwohl makellos frisierte Haar des Zeugen filziger aussehen zu lassen. Er trieb es jedoch zu weit mit der Entstellung seines Modells, riss das Blatt schimpfend von seinem Block, knüllte es in seine Tasche und begann von vorn.
    Baxter machte sich einige Notizen, ehe er mit der Befragung fortfuhr. »Würden Sie so weit gehen zu behaupten, dass der Mörder mit den Funktionen des menschlichen Körpers - ob Vampir oder Warmblüter - vertraut war?«
    »Ja, Coroner. Zwar lässt das Ausmaß der Verletzungen auf gesteigerten Enthusiasmus schließen, doch wurden die eigentlichen Wunden - man möchte fast sagen: Inzisionen - mit einigem Geschick beigebracht.«
    »Verdammich, Silver Knife is Arzt«, rief der Anführer der Anarchisten.
    Sogleich befand sich der Gerichtssaal ein zweites Mal in hellem Aufruhr. Die Anarchisten, je zur Hälfte Warmblüter und Neugeborene, stampften schreiend mit den Füßen, während andere lauthals zu debattieren begannen. Kostaki sah sich um und brachte mit eisigem Blick zwei Geistliche zum Schweigen. Baxter verletzte sich an der Hand, als er zum wiederholten Male auf sein Pult einhieb.
    Geneviève bemerkte einen Mann an der Rückseite des Gerichtssaals,
der den Aufruhr mit kühlem Interesse verfolgte. Wie er dort stand, in vornehmer Kleidung, mit Umhang und Zylinder, hätte man ihn für einen sensationslüsternen Zuschauer halten mögen, wäre seine entschlossene Miene nicht gewesen. Er war kein Vampir, dennoch - anders als der Coroner oder Dr. Henry Jekyll - schien er keineswegs beunruhigt, sich in Gesellschaft so vieler Untoter zu befinden. Er stützte sich auf einen schwarzen Stock.
    »Wer ist denn das?«, fragte sie Lestrade.
    »Charles Beauregard«, antwortete der neugeborene Kriminalbeamte und verzog verächtlich die Lippen. »Haben Sie noch nie vom Diogenes-Club gehört?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Wenn man

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