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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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ihn, darauf achtzugeben.
    »Wenn Sie die Güte hätten, mich zu einem Feldtelefon zu bringen, ich muss dringend Meldung machen.«
    Der Infanterist blickte auf das Bündel, das sich langsam löste. Ein knochiger Schädel kam zum Vorschein.
    »Heiliges Kanonenrohr«, sagte der Tommy immer wieder. »Heiliges Kanonenrohr.«

III
    JÄGERLATEIN

27
Der rote Kampfflieger
    R ichthofen empfing ihn erst am späten Nachmittag. Es gab keinen Grund für diesen Aufschub. Der Junker hatte es sich einfach zur Gewohnheit gemacht, Vasallen warten zu lassen. Poe nahm an, dass der Pilot sich keinen Pfifferling um ihre Zusammenarbeit scherte. Er machte nur mit, weil General Karnstein es befohlen hatte. Für Kaiser und Vaterland war Manfred von Richthofen bereit, sich von Edgar Poe verewigen zu lassen. Auch wenn diese Aussicht einem Unsterblichen wahrscheinlich wenig Reiz bot.
    Das Privatquartier des Barons war zwar nicht eben spartanisch eingerichtet, hätte jedoch kaum vermuten lassen, dass hier ein großer Krieger hauste. In der Mitte stand ein aufgeräumter Schreibtisch, an dem Richthofen knappe, präzise und ermüdende Berichte über seine fliegerischen Großtaten verfasste. Nach der Lektüre zahlloser derartiger Dokumente wusste Poe, weshalb man den Baron nicht mit der Abfassung seiner Memoiren betrauen konnte.
    Da niemand ihn aufgefordert hatte, sich zu setzen, durchstreifte er das Zimmer. Über dem Kamin stand eine Reihe funkelnder
Pokale. Die blankpolierten Dinger zogen Poe in ihren Bann. Jede Trophäe trug eine winzige Plakette mit einer formelhaften Inschrift: eine Zahl, der Name eines alliierten Flugzeugs, noch eine Zahl, ein Datum. 11. VICKERS. 1. 23.11.16. Die erste Zahl stand für die Gesamtzahl seiner Siege, die zweite zeigte an, wie viele Opfer der Abschuss gefordert hatte. Jeder zwanzigste Pokal war doppelt so groß wie die anderen.
    Es waren an die sechzig Stück. Das konnte nicht stimmen. Richthofen hatte um die achtzig Abschüsse erzielt.
    »Die Silberknappheit. Anfangs hatte der Fabrikant noch eine Sondergenehmigung, aber dann wurden die Bestimmungen verschärft.«
    Richthofen war hereingekommen, ohne dass Poe etwas gehört hatte, keine geringe Leistung. Er stand in menschlicher Gestalt vor ihm, ruhig und gedrungen. Nichts an diesem ganz und gar gewöhnlichen Soldaten erinnerte an einen Gott, und doch konnte Poe das, was er im Turm gesehen hatte, nicht vergessen. Im Innern des Barons nistete ein himmlischer Lederengel, der vollkommene Vampir.
    »Der Händler bot mir Hartzinn als Ersatz, aber ich beschloss, auf protzige Souvenirs zur Erinnerung an meine Siege fortan zu verzichten. Ich weiß, was ich wert bin. Trophäen sind banal und ordinär.«
    Poe berührte einen der Pokale. Seine Finger brannten.
    »Echtes Silber?«
    »Ich hätte diesen unnützen Tinnef längst zum alten Eisen geben sollen. Silberkugeln in meinen MGs wären mir entschieden lieber als die Silberbecher in meiner Stube.«
    Nur wenige Vampire umgaben sich mit echtem Silber. Das zeugte von Tollkühnheit und Wagemut. Hätte Poe eine dieser Trophäen in die Hand genommen, so wären seine Finger auf der Stelle zu Staub zerfallen.

    Richthofen trat neben ihn und betrachtete die Becher. Jeder von ihnen stand für einen oder mehrere Tote. Göring, der Registrator von Richthofens Zirkus, hatte Poe das Zustandekommen der »Bilanz« erläutert. Es zählten ausschließlich die Siege über gegnerische Flugzeuge, nicht die Anzahl der toten oder abgeschossenen Piloten. Ein Flieger konnte auch einen Sieg erringen, indem er sein Opfer in ein Kriegsgefangenenlager schickte. Nur wenige von Richthofens Silberbechern trugen eine Null. Seine Siege endeten für den Gegner in den meisten Fällen tödlich. Oswald Boelcke, der die Kampfregeln für Jagdflieger formuliert hatte, zog es vor, auf den Motor des Feindes zu zielen und den Piloten lebend davonkommen zu lassen. Richthofen ging dem Gegner immer an die Gurgel. Ein Sieg ohne Blutvergießen war für ihn kein Sieg. Nur ein tödlicher Abschuss zählte.
    »Ich habe nichts vergessen. Ich erinnere mich noch an die kleinste Einzelheit. Schließlich habe ich zu jedem Sieg einen Bericht geschrieben.«
    Boelcke hatte den wirklichen Tod gefunden, wenn auch nicht im Kampf: Sein Flugzeug war in der Luft mit der Maschine eines Kameraden kollidiert.
    Der Baron ließ sich an seinem Schreibtisch nieder, nahm selbst im Sitzen Haltung an und wies auf einen Sessel. Poe sank hinein. Angesichts der Korrektheit des Barons kam er sich doppelt

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