Die Vampire
schäbig vor. Richthofens Uniform war makellos geplättet und mit ihren messerscharfen Bügelfalten und der knappsitzenden Jacke jederzeit zur Musterung bereit. Poes Hosen waren an den Knien nahezu durchgescheuert. Die Knöpfe an seinem Rock passten nicht zusammen.
»Na, dann wollen wir mal, Herr Poe. Fangen Sie an. Mit Ihrem Buch.«
»Mit unserem Buch, Herr Baron.«
Richthofen machte eine wegwerfende Handbewegung. Er hatte
die kurzen Nägel und dicken Finger eines Cowboys, nicht die schlaffen, schwächlichen Extremitäten eines aristokratischen Faulenzers und Müßiggängers.
»Ich mache mir nicht allzu viel aus Literatur. Und Literaten. Eine Cousine von mir ist eine unziemliche Bindung mit einem englischen Schriftsteller von widerlichem Ruf eingegangen. Ein gewisser Mr. Lawrence. Haben Sie von ihm gehört?«
Poe verneinte.
»Dem Vernehmen nach ist er ein schrecklicher Bursche, verroht und vertiert.«
Wo anfangen? Vielleicht war jetzt die passende Gelegenheit, den wunderlichen Juden Freud zu bemühen. »Erzählen Sie mir von Ihrer Kindheit, Herr Baron.«
Richthofen hob zu einem Vortrag an. »Ich wurde am 2. Mai des Jahres 1892 geboren. Mein Vater war mit seinem Kavallerieregiment in Breslau stationiert. Unser Familiensitz war ein großes Gut in Schweidnitz. Ich wurde benannt nach meinem Onkel Manfred Albrecht, einem Offizier der kaiserlichen Garde. Mein Vater war Major Albrecht Freiherr von Richthofen. Meine Mutter Kunigunde war eine geborene von Schickfuß und Neudorff. Ich habe zwei Brüder, Lothar und Karl Bolko, sowie eine Schwester, Ilse …«
Poe fuhr schüchtern dazwischen. »Ich habe Ihre Personalakte gelesen. Erzählen Sie mir etwas über ihre Kindheit.«
Richthofen wusste offensichtlich nichts zu sagen. In den verschwommenen Tiefen seiner Augen spiegelte sich abgründige Verwirrung.
»Ich verstehe nicht recht, was Sie von mir wollen, Herr Poe.«
Poe empfand unwillkürlich Mitleid für den mitleidslosen Helden. Der Baron war, auch wenn er es niemals zugegeben hätte, ratlos. Ihm schien etwas Entscheidendes zu fehlen.
»Woran erinnern Sie sich? An einen Ort, ein Spielzeug, einen Zeitvertreib …?«
»Mein Vater schärfte mir ein, dass ich anders sei als die Söhne der Bauern, die das Land bestellten. Sie seien Slawen und für einen Preußen somit Menschen zweiten Ranges. Unsere Familie war germanischer Herkunft, eine der ersten, die sich in Schlesien ansiedelte.«
»Hatten Sie selbst auch das Gefühl, anders zu sein?«
Poe dachte an seine eigene Kindheit, die Entfremdung von seinen Mitmenschen als Amerikaner in England.
Richthofen schüttelte den Kopf. »Nein. Ich hatte dasselbe Gefühl wie heute. Ich bin ich. Und daran gab und gibt es keinen Zweifel.«
Er saß da, als hätte er einen Ladestock verschluckt.
»Was war Ihre erste Leidenschaft?«
»Die eines jeden Knaben. Die hohe Jagd.«
Richthofen war immer noch ein Jäger. Ob es zu einfach war, ihn als Jäger abzutun, dessen Seele weder Licht noch Schatten kannte?
»Mit meiner Flinte schoss ich drei der zahmen Enten meiner Großmutter. Als Trophäe rupfte ich jeder eine Feder aus. Damit lief ich zu meiner Mutter, und die schalt mich gehörig aus. Meine Großmutter hingegen zeigte Verständnis und belohnte mich.«
»Sie konnten also, wie George Washington, nicht lügen?«
»Wieso hätte ich lügen sollen? Ich wollte meine Beute präsentieren.«
»Sie fanden nichts dabei zu töten?«
»Nein. Sie?«
Die Augen des Barons waren glasklar. Blauer Frost glänzte in seinem Blick. Poe dachte an Eissplitter in den Gewässern des Richthofen-Gutes in Schlesien.
»Sie sind in Berlin zur Schule gegangen, auf eine Kadettenanstalt?«
Richthofen nickte knapp. »Wahlstatt. Ihr Motto lautete: ›Lerne erst zu gehorchen und dann zu befehlen.‹«
»Sehr deutsch.«
Nicht einmal der Anflug eines Lächelns.
In West Point war Poe todunglücklich gewesen, weil sein Stiefvater ihm die Barschaft vorenthalten hatte, die er brauchte, um es seinen Kameraden gleichzutun.
»Sie haben Wahlstatt sicherlich geliebt?«
»Im Gegenteil, ich habe die Schule gehasst. Sie war eine Kreuzung aus Kloster und Gefängnis. Da mich der Unterricht nicht interessierte, tat ich nicht mehr als nötig. Jede Anstrengung erschien mir sinnlos, und so lernte ich nur wenig. Infolgedessen war ich bei meinen Lehrern nicht allzu beliebt.«
»Aber Sie haben gelernt zu befehlen?«
»Ich habe gelernt zu gehorchen.«
»Sie kommandieren dieses Jagdgeschwader.«
»Ich gebe nur Befehle
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