Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
Vom Netzwerk:
weiter. Karnstein ist der Kommandant.«
    Es war wie die Vernehmung eines Kriegsgefangenen. Richthofen gab nicht mehr als nötig preis. Eine Lektion, die er in Wahlstatt gelernt hatte.
    »Wollten Sie sich schon als Kind verwandeln?«
    »Ich wuchs auf in der Gewissheit, dass ich in meinem achtzehnten Lebensjahr verwandelt würde. So ist es Sitte. Lothar hat sich ebenfalls in diesem Alter verwandelt. Und wenn er das Mannesalter erreicht hat, wird auch Karl Bolko sich verwandeln.«
    »Wie ging die Verwandlung vor sich?«
    »Auf die übliche Art und Weise«, erwiderte Richthofen schroff.
    »Verzeihen Sie, Herr Baron, aber ich bitte meine Ignoranz mit Nachsicht zu betrachten«, schmeichelte Poe und bändigte seinen Zorn, indem er sich das Flügelwesen ins Gedächtnis rief, das im Innern dieses kalten Fisches lauerte. »Ich habe mich zu einer Zeit
verwandelt, da der Übergang vom Mensch zum Vampir selten und schmerzhaft war. Ich habe Bekanntschaft mit dem Grab geschlossen und wurde als Geschöpf der Nacht geächtet.«
    »Ich bin nicht gestorben. Meine Verwandlung ging unter hygienischen Umständen vonstatten. Das Ergebnis war zufriedenstellend.«
    Die meisten neugeborenen Vampire schilderten ihre Transformation in demselben halb stolzen, halb verschämten, doch immer gänzlich aufgeregten Ton, in dem die jungen Burschen aus Poes warmblütigen Tagen von ihrem ersten Bordellbesuch berichteten. Richthofen hingegen schien diese wunderbare Metamorphose nicht mehr zu bedeuten als ein gewöhnlicher Zahnarztbesuch.
    »Sie haben sich 1910 verwandelt. Von welchem Geblüt sind Sie?«
    »Vom allerfeinsten. Meine Familie hält eine Älteste in Diensten, Perle von Mauren. Sie hat uns ihr Geblüt vererbt.«
    Dies war durchaus nicht ungewöhnlich. Seit Dracula in Deutschland weilte, war die Ausbreitung des Vampirismus streng reglementiert. Theoretisch stand jeder Vampir innerhalb der Monarchie unter der Schirmherrschaft des Grafen. Ohne Draculas Erlaubnis konnte niemand neu geboren werden. Nur der Hochadel hatte von Geburt ein Anrecht auf Verwandlung. Viele aristokratische Familien pflegten enge Beziehungen mit von Dracula persönlich anerkannten Ältesten. Frauen wie Perle von Mauren waren Beraterinnen, Mätressen oder Gouvernanten.
    »Welche Gefühle hegen Sie für Ihre Fangmutter?«
    »Gefühle? Weshalb sollte ich Gefühle für sie hegen?«
    »Schließlich entstammen Sie einem bedeutenden Blutgeschlecht.«
    »Nein, eigentlich gehöre ich zwei Geschlechtern an. Professor ten Brincken hat mir zu einem Blutpaten verholfen. Ich bin auch von Draculas Geblüt.«

    Es war keine Prahlerei, sondern eine nüchterne Feststellung.
    »Haben Sie sich sehr verändert?«
    »Ich bin trotz allem Manfred von Richthofen geblieben. Die meisten dieser Pokale habe ich gewonnen, bevor ich zum Gestaltwandler wurde.«
    »Das heißt, Sie haben ein Kampfflugzeug gesteuert?«
    »Ein Kampfflugzeug ist im Grunde doch nichts weiter als ein MG mit Flügeln. Jetzt bin ich meine eigene Waffe, meine eigene Maschine. Wie ein Jäger aus der Vorzeit.«
    »Haben Sie manchmal das Gefühl, zu früh gestorben zu sein?«
    »Ich bin nie gestorben.«
    »Nein, aber das warmblütige Dasein birgt Annehmlichkeiten, die uns verwehrt sind. Sie haben sie aufgegeben, noch ehe Sie wirklich Gelegenheit erhielten, sich mit ihnen vertraut zu machen.«
    »Der Krieg stand bevor. Es war meine Pflicht, mich zu verwandeln. Deutschland brauchte Vampire von auserlesenem Geblüt.«
    Vielleicht war diese gefühllose Gestalt nur eine Maske, und der Hüne, den Poe gesehen hatte, war der echte rote Kampfflieger. Dieses Interview glich dem Versuch, mit dicken Handschuhen Stecknadeln von einem Marmorfußboden zu picken. Sobald man glaubte, man habe es geschafft, verschwanden sie unter einer Kommode.
    »Nach Ihrer Verwandlung haben Sie sich den Lanzenreitern angeschlossen.«
    »Dem Ersten Ulanen-Regiment. 1914 zog ich an die Front, aber mit den Lanzenreitern war es aus. In diesem Krieg ist kein Platz mehr für die Kavallerie.«
    »Also haben Sie Ihr Pferd gegen ein Flugzeug eingetauscht?«
    »Ich ließ mich zur Nachrichtentruppe versetzen und trat als Beobachter in die deutschen Luftstreitkräfte ein. Ich beschloss,
Pilot zu werden. Diese Position bietet eine bessere Chance, sich auszuzeichnen.«
    »Und Sportsgeist zu beweisen?«
    Richthofen dachte einen Augenblick nach und nickte dann. In wenigen Minuten hatte er mit monotoner Stimme sein ganzes Leben ausgebreitet, bis zu dem Punkt, an dem er die Berufung

Weitere Kostenlose Bücher