Die Vampire
ihr vorsichtig die Nadel aus dem Arm und presste den Daumen auf die offene Vene. Die winzige Wunde verheilte im Nu. Der Arzt inspizierte die Stelle.
»Nichts mehr zu sehen. Ein kleines Wunder.«
Arrowsmith hatte nur wenig Erfahrung mit Vampiren. In Amerika
gab es verhältnismäßig wenige Untote. Barnes war während der Überfahrt noch Warmblüter gewesen und hatte sich erst in Paris verwandelt. Er hatte geglaubt, als Vampir hätte er bessere Chancen, den Krieg zu überleben. Kate dachte voller Abscheu an die geistlose Cancan-Nymphe, die ihn verwandelt hatte. Sein neues Leben hatte sich Barnes vermutlich anders vorgestellt. Sein Kiefer war zerschmettert, von silbernen Granatsplittern durchlöchert, der Wundbrand breitete sich aus. Er würde sich in naher Zukunft kaum selbst ernähren können, sondern war auf Bluttransfusionen angewiesen. In vielerlei Hinsicht war er kein Mensch mehr.
Der Doktor versorgte seinen Patienten. Barnes konnte nicht sprechen. Seine Augen funkelten zornig und gequält durch die Schlitze in seiner steifen weißen Maske. Seit ihrer Bluthochzeit wusste Kate, dass Barnes den wirklichen Tod herbeisehnte. Ob sie seinen Wunsch den Ärzten übermitteln sollte, die erbittert um sein Leben kämpften?
Sie versuchte sich aufzusetzen. Ihr Kopf, ein zentnerschweres Bleigewicht, zwang sie in die Kissen zurück. Sie war schwächer, als sie angenommen hatte. Sie schob die Füße über den Rand der viel zu kurzen Zelttuchliege und versuchte sich hochzurappeln.
Arrowsmith war besorgt. »Seien Sie vorsichtig, Miss Reed. Sie sind noch nicht so weit. Versuchen Sie, nicht zu sprechen. Ruhen Sie sich aus. Für heute haben Sie genug geleistet. Sie haben diesem Mann das Leben gerettet.«
Sie öffnete den Mund, brachte jedoch kein Wort heraus. Das war im Wesentlichen ihr Problem. Der Krieg machte sie sprachlos.
Sie wusste, dass sie nicht so denken durfte, doch mit Edwin Winthrops Tod hatte ein verheißungsvoller Anfang ein abruptes Ende gefunden. Aus ihrem kleinen Tête-à-tête hätte durchaus etwas werden können. Und jetzt hatten sie nicht nur keine Vergangenheit,
sondern auch keine Zukunft mehr, und das stimmte sie traurig.
Enttäuscht und erschöpft hatte sie sich dem Roten Kreuz zur Verfügung gestellt. Als Blutmilchkuh konnte sie Gutes tun, ohne handeln, ohne denken, ohne Anteil nehmen zu müssen.
Bei Kriegsbeginn, als auf beiden Seiten unzählige Vampire kämpften, galten untote Soldaten noch als siegreich und unverwundbar. In Fortsetzungsromanen fielen nosferatu -Horden über Europa her und errichteten Tyranneien mit tausendjährigen Ältesten an der Spitze. Während im Sommer 1914 Armeen mobilmachten und Diplomaten taktierten, fand Als Vlad kam, Sakis fiktive Schilderung der Rückeroberung Britanniens durch Draculas blutsaugerische Ritter, in Bahnhofsbuchhandlungen reißenden Absatz. Inzwischen war Hector Hugh Munro alias »Saki« wirklich tot, ein deutscher Scharfschütze hatte den Royal Fusilier erschossen.
Kate sah an die schmutzig graue, blutbespritzte Decke. Sie war zu hoch, um die Flecken fortzuwischen. Zischende Glühbirnen baumelten an Messinglüstern, die Kabel rankten sich um wachsbedeckte Kerzenhalter. Vor dem Krieg war das Hospital ein Amtsgebäude gewesen.
Im europäischen Patt, als sich der Bewegungskrieg in einen Stellungskampf verwandelt hatte, erwies sich, dass Vampire weder siegreich noch unbezwingbar waren. Dennoch überlebten sie Verletzungen, an denen jeder warmblütige Soldat gestorben wäre. Für die Untoten war dies ein fürchterlicher Fluch. Denn selbst mit einem »Heimatschuss« gelang es nur wenigen Vampiren, sich eine Verletzung beizubringen, die nicht tödlich, aber doch so schwer war, dass sie ihnen eine ehrenhafte Entlassung mit anschließender Heimreise bescherte. Abgesehen von dem einen oder anderen Jake Barnes wurde ein Vampir, der von seinen Verletzungen genesen war, reaktiviert und an die Front zurückgeschickt. Viele
zogen es vor, warmblütig zu bleiben und ihr Glück zu versuchen. Der Krieg war eine Pest, die das Land mit Feuer und Silber überschwemmte und der Hunderttausende von Neugeborenen und Warmblütern zum Opfer fielen.
Mit Kates Blut in den Adern würde selbst Jake Barnes in hundert Jahren wieder in die Schlacht ziehen können.
Sie wurde im Rollstuhl in den Wintergarten geschoben. Sanftes Mondlicht fiel auf eine Reihe von Krankenbetten. Der matte Schein galt als bewährtes Stärkungsmittel für schwer verwundete Vampire. Kate spürte nichts
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