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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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platzte.
    Die Räder der Droschke klapperten über das Pflaster und machten ihn schläfrig wie das sanfte Brechen der Wellen unter dem Bug eines Schiffes. Abermals überdachte Beauregard die Möglichkeit eines Geheimbundes; der »Hermetische Orden des Pfahls« vielleicht oder die »Freunde Van Helsings«. In einer Hinsicht jedenfalls hatten die Verbrechen nichts mit Ritualmorden gemein: In derartigen Fällen war es von entscheidender Bedeutung, eine unverwechselbare Signatur zu hinterlassen, wie die fünf Orangenkerne, die der Ku-Klux-Klan einem Verräter übersandte, oder die toten Fische neben einem Sizilianer, der sich von der Mafia losgesagt hatte. Hier war die einzige Signatur so etwas wie kalkulierte Raserei. Dies war das Werk eines Wahnsinnigen, keines Rebellen. Was jedoch keinen jener hochtrabenden Straßenschwätzer, welche die Untersuchung gestört hatten, daran hindern würde,
die elenden Ausweidungen als Siege der Warmblüter zu feiern. Viele Geheimbünde waren durchaus in der Lage, sich eines hoffnungslosen Irren zu bedienen, einen Menschen systematisch in den Wahnsinn zu treiben, wie eine Waffe auf ein Ziel zu richten, um ihn schließlich auf der Straße loszulassen, sein blutiges Geschäft zu verrichten.
    Gern wäre er in Schlaf gesunken, um sich vor seiner Haustür vom Klopfen des Kutschers aufwecken zu lassen, doch etwas irritierte ihn. Er hatte gelernt, seinen gelegentlichen Gefühlen der Irritation zu vertrauen. Sie hatten ihm mehr als einmal das Leben gerettet.
    Die Droschke befand sich in der Commercial Road und fuhr nach Westen statt nach Osten. Nach Limehouse. Beauregard schmeckte den Geruch der Docks. Er beschloss, die Sache bis an ihr Ende zu verfolgen. Die Angelegenheit hatte eine bestechende Wendung genommen. Er hoffte, dass der Kutscher nicht allein die Absicht hatte, ihn zu ermorden und auszurauben.
    Vorsichtig schob er den Haken am Griff seines Stockes zur Seite und ließ einige Zoll schimmernden Stahls aus dem hölzernen Schaft hervorgleiten. Der Degen würde sich bequem herausziehen lassen, falls er ihn benötigte. Dennoch, er war nur aus Stahl.

9
    Das karpatische Quartett
    E he sie zur Toynbee Hall zurückkehrte, schaute Geneviève auf einen Sprung in die Schenke, die dem Spitalfields Market gegenüberlag. Sie war dort wohlbekannt, ebenso wie in den anderen lärmenden Wirtshäusern innerhalb der sogenannten »schrecklichen
Viertelmeile«. Wie Angela Burdett-Coutts bewiesen hatte, genügte es keineswegs, umringt von hocherbaulichen Traktätchen und von Seifenduft umnebelt in einer behaglichen Kirche zu sitzen und darauf zu warten, dass die Gefallenen hereinkamen, um sich bekehren zu lassen. Wer Reformen wollte, musste noch mit dem abscheulichsten Senkloch von Trunk und Verderbnis vertraut sein. Natürlich wirkten die Ten Bells wochennachts im Jahre 1888 im Vergleich zu einem Marseiller Bordell des Jahres 1786, einem St. Petersburger Palast zu Zeiten Katharinas der Großen oder dem Château des Gilles de Rais im Jahre 1437 wie ein Tea-Room der Aerated Bread Company. Wenn all jene glücklosen Frauenzimmer ihre Miss Dee in früheren Jahren hätten sehen können, als die Wechselfälle eines langen Lebens sie in niedrige Verhältnisse gestürzt hatten, wären sie wahrscheinlich entsetzt gewesen. Es gab Zeiten, da hätte sie zu Polly Nichols oder Lulu Schön aufgeblickt wie eine Scheuermagd zu einer Herzogin.
    Die Luft in den Ten Bells war dampfend heiß, geschwängert von Tabak, Bier und vergossenem Blut. Als sie durch die Türe trat, glitten ihre Augenzähne aus den Kieferscheiden. Sie kniff den Mund zu und atmete durch die Nase. Die hinter dem Tresen festgezurrten Tiere versuchten winselnd ihre Lederriemen abzustreifen. Woodbridge, der dickbäuchige Aufwärter, packte eine Sau bei den Ohren und riss ihren Kopf herum: Der Zapfen des Hahns, den man ihr in den Hals getrieben hatte, war verstopft. Er stach das geronnene Blut mit einem Meißel heraus und drehte die Leitung auf, worauf sich ein schäumendes Rinnsal in einen gläsernen Trinkkrug ergoss. Während er zapfte, machte er in breitem Devon-Dialekt seine Scherze mit einem neugeborenen Markthelfer. Geneviève kannte den Wildgeschmack von Schweineblut nur allzu gut. Es konnte den roten Durst zwar lindern, doch nicht löschen. Sie schluckte. Dieser Nächte hatte sie wenig Gelegenheit, Bindungen einzugehen. Ihre Arbeit nahm so viel
Zeit in Anspruch, dass sie nur selten Nahrung fand, die sie dann auch nicht recht befriedigte. Obgleich die

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