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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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Jahrhunderte sie stark gemacht hatten, gab es Dinge, die sie unmöglich über sich brachte. Sie brauchte einen willigen Gefährten und den Geschmack von Menschenblut im Munde.
    Die meisten Stammgäste waren Geneviève, vom Ansehen wenigstens, bekannt. Rose Mylett, eine warmblütige Prostituierte, die sie für Lilys Mutter hielt, ritzte sich soeben mit einem Federmesser den Finger und ließ ihren Lebenssaft in winzige Gingläser rinnen, die sie dann für einen Penny verkaufte. Woodbridges Sohn Georgie, ein Knabe mit sanften Gesichtszügen und einer leichten Hasenscharte, flitzte mit einer Schürze bekleidet zwischen den Tischen umher, sammelte die leeren Gläser ein und wischte Blutringe fort. Johnny Thain, ein Constable mit einem Tweedmantel über der Uniform, der zahlreiche Überstunden abgeleistet hatte, seit es ihm vergönnt gewesen war, das in Augenschein zu nehmen, was Silver Knife von Polly Nichols übrig gelassen hatte, stand mit einigen Kriminalbeamten um einen Ecktisch versammelt. Die Laufkundschaft gliederte sich offenbar in drei Gruppen: Wanderarbeiter, die sich eine Schicht auf dem Markt erhofften, Seeleute und Soldaten, die nach dem einen oder anderen Mädchen Ausschau hielten, und Neugeborene, die es nach mehr als flüssigem Schwein gelüstete.
    Am Tresen stand Cathy Eddowes und lächelte einfältig zu einem hünenhaften Mann hinauf, strich über sein zerzaustes Haar, presste die Wange an seine stämmige Schulter. Dann wandte sie sich von ihrem aussichtsreichen Kunden fort und winkte Geneviève. Ihre Hand war mit Tuch umwickelt, die Finger ragten steif aus dem Bündel hervor. Hätte sie mehr Zeit gehabt, wäre Geneviève besorgt gewesen. Mick Ripper, ein Messerschleifer und dem Rufe nach der beste dreifingrige Taschendieb von ganz London, schlich sich an Cathys Courmacher heran. Als er ihm so nahe gekommen
war, dass er sein Gesicht erkennen konnte, schob er die Hände tief in die Taschen und trat den Rückzug an.
    »’n Abend, Miss Dee«, sagte Georgie. »Volles Haus hamwa heut.«
    »Das sehe ich«, sagte sie. »Ich hoffe, wir dürfen dich zu unseren neuen Vorlesungen in Toynbee Hall begrüßen.«
    Georgie schaute zweifelnd drein, dann lächelte er. »Wenn Dad mir’n Abend freigehm tut. Un’ wemman sich nachts wieder aufe Straße raustraun kann.«
    »Im neuen Jahr wird Mr. Druitt am Vormittag unterrichten, Georgie«, sagte sie. »Mathematik. Du bist einer unserer vielversprechendsten Schüler. Vergiss nicht, was in dir steckt.«
    Der Bursche hatte eine Begabung für Zahlen; er konnte die Einzel- und Gesamtbeträge dreier Lagen verschiedenster Getränke im Kopf behalten. Mit dieser Fähigkeit, die Druitt in seinem Unterricht förderte, konnte er es vielleicht zu etwas bringen. Womöglich gelang es Georgie gar, die Hochwassermarke seines Vaters noch zu übertreffen und Schankwirt zu werden statt ein einfacher Aufwärter.
    Geneviève setzte sich allein an einen kleinen Tisch, bestellte jedoch nichts. Sie war eingekehrt, um ihre Rückkehr zur Hall hinauszuschieben. Sie würde Jack Seward ausführlichen Bericht über die Untersuchung erstatten müssen, dachte im Moment aber nur ungern an die letzten Augenblicke im Leben Lulu Schöns. Während ein Akkordeonspieler den »kleinen Vogel« hinmordete, versuchten ein paar weinerliche Trunkenbolde mit leidlichem Erfolg, sich auf den Text des Liedes zu besinnen. summte Geneviève vor sich hin,
    »ich fliege wieder fort,
denn bleib ich hier, wird zum Kerker mir
der goldene Käfig dort.«
    »Leb wohl, kleiner Vogel mein«,
    Eine Gruppe krakeelender Neuankömmlinge kam durch die Tür getorkelt und brachte einen heftigen Stoß nachtkalter Luft mit herein. Einen Augenblick lang legte sich der Wirtshauslärm, dann brach er nochmal so laut von neuem los.
    Cathys Auserwählter wandte sich vom Tresen ab und stieß die Neugeborene grob beiseite. Sie raffte einen Schal um ihre schorfbedeckten Schultern und marschierte, so gravitätisch, wie der fehlende Stiefelabsatz es ihr erlaubte, davon. Der Mann war Kostaki, der Karpater, der bei der Zeugenbefragung zugegen gewesen war. Bei den dreien, die soeben hereingekommen waren, handelte es sich um seine Kameraden, abscheuliche Exemplare jener barbarischen Spezies Vampir, die Vlad Tepes aus den Bergen seines Heimatlandes hierhergebracht und auf die Straßen Londons losgelassen hatte. Sie erkannte Ezzelin von Klatka, einen graugesichtigen Österreicher mit kurzgeschnittenem Haar und moosdickem schwarzem Bart. Er war für seine

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