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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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pausbäckige Colonel, der diesen Rang zu seiner großen Freude auch nach seiner Verabschiedung am Ende des Burenkrieges hatte behalten dürfen, war beileibe nicht der unbedarfte Schwachkopf, für den er sich ausgab. Kate zuckte schaudernd die Achseln. Für gewöhnlich bereitete es ihr keine Schwierigkeiten, ihre Gedanken in Worte zu fassen, doch die Geschichte mit Edwin ging ihr viel zu nahe, um sich verständlich zu erklären.
    »Jetzt, wo Richthofen nicht mehr ist, wird der Bursche da oben sehr viel sicherer sein.«
    »Der Rote Baron ist tot?«
    »Das wurde heute Morgen über Fernsprecher durchgegeben. Es ist aber noch nicht offiziell. Bislang hält sich der Boche bedeckt, aber unsere Lauscher im Hunnenland haben so etwas flüstern hören. Wie es scheint, ist die alliierte Luftherrschaft wiederhergestellt.«
    Kate fragte sich, ob Edwin enttäuscht war. Er hatte eine lebende Waffe aus sich gemacht, um die Kreatur zur Strecke zu bringen, die seinen Kameraden getötet hatte. Oder war es ihm am Ende vielleicht doch gelungen, den Roten Baron zu bezwingen? Nein, das hätte sie im Blut gehabt.
    »Eigentlich jammerschade, finden Sie nicht auch?«, meinte Wynne-Candy. »Mit seinem Tod ist der Krieg ein wenig farbloser
geworden. Richthofen war etwas, für das es sich zu schießen lohnte.«
    Auf das es sich zu schießen lohnte, dachte sie.
    Ein paar Hundert Yards entfernt schlug jaulend ein Geschoss ein und krepierte. Kate und Wynne-Candy duckten sich, als feuchter Dreck zu Boden regnete.
    »Der ging übers Ziel hinaus«, sagte der Colonel. »Vollkommen harmlos.«
    Ein qualmender Krater markierte den Aufschlagpunkt. Hinter den Linien gab es mehr Bombentrichter als sonst.
    »Wenn es so weitergeht, könnte das unsere Versorgungslinien gefährden.«
    »Ganz recht, Miss.«
    Wynne-Candys Fahrer, ein schmuddeliger Cockney, raunte dem Colonel leise etwas zu.
    »Das darf doch wohl nicht wahr sein!«
    Wynne-Candy war entsetzt.
    »Es tut mir außerordentlich leid, Miss, aber ein überaus unsportlicher Hunne hat offenbar auf Ihren Wagen geschossen.«
    Der Fahrer steckte den Finger durch ein Loch in der Motorhaube.
    »Vermutlich ein Versehen. Jeder anständige deutsche Offizier, der einen seiner Männer dabei erwischt, wie er aus dem Hinterhalt auf einen Krankenwagen ballert, würde den Kerl sofort erschießen lassen.«
    Der Fahrer meinte, der Motor sei unversehrt. Man müsse die Ambulanz nur einmal gründlich waschen, dann werde sie laufen wie geschmiert.
    »Nicht leicht, in dieser Gegend seine Siebensachen sauber zu halten«, sagte Wynne-Candy und ließ seinen Blick über die morastige Ebene schweifen. »Und nun fahren Sie, Miss. Die Jungs an der Front erwarten Sie bereits.«

    Ihr drei Nummern zu großer Khakimantel, ihre zerzauste, schlammstarrende Frisur und die tiefe Verwirrung, in der sie sich befand, würden sie schwerlich als Engel durchgehen lassen.
    Sie wünschte dem Colonel Lebewohl und stieg wieder in den Krankenwagen. Als die Armee diese Vehikel bestellt hatte, war man davon ausgegangen, dass sie von sechs Fuß langen Kerls gefahren würden. Damals hatte sich noch niemand vorstellen können, dass man eines Tages alle verfügbaren Kräfte an die Front beordern und eine zierliche Vampirfrau den Posten des Chauffeurs ausfüllen würde. Sie hatte drei Kissen unterm Hinterteil und musste sich nach vorne beugen, um an das Lenkrad zu gelangen, das unermesslich weit entfernt schien. An den Fußpedalen befestigte Holzklötze brachten jene in Reichweite ihrer zu kurzen Beine.
    Alles an dem Krankenwagen klapperte. Sie sah durch die verschmierte Windschutzscheibe in den Himmel. Selbst wenn der Rote Baron gefallen war, zogen dort oben noch immer wilde Ungeheuer ihre Kreise. Edwin zerrte an ihr wie ein Zahnschmerz. Es würden Monate vergehen, bis sie ihre alte Kraft zurückgewonnen hatte. Sie hatte das Gefühl, nur noch ein halber Mensch, ein Schatten ihrer selbst zu sein.
    Wie jeder anständige Viktorianer warf sie sich in die Pflicht. Wenn möglich, hätte sie sogar zur Waffe gegriffen und wäre in die Schlacht gezogen. Geneviève hatte sich im Laufe ihres langen Lebens des Öfteren als Knabe ausgegeben und sich als Soldat verdingt: mit der heiligen Johanna gegen England, mit Drake gegen die Spanier, mit Bonaparte gegen die Russen. Geneviève hatte einfach alles gemacht. Ohne es zu wollen, gab sie anderen Frauen unablässig das Gefühl, minderwertig zu sein. Mit »anderen Frauen« meinte Kate sich selbst.
    Heute, 1918, durfte Kate,

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