Die Vampire
obgleich sie stärker war als viele Männer, nur einen Krankenwagen fahren. Den nächsten Krieg würden
Männer und Frauen, Vampire und Warmblüter führen. Wenn sie überlebte, würde Kate auch an diesem Krieg teilnehmen. Und am nächsten. Und am übernächsten.
Richthofen tot. Sie wollte der Geschichte auf den Grund gehen. Das wäre eine fantastische Nachricht.
Die Straße senkte sich, und links und rechts erhoben sich Erdwälle. Sie hatte das Labyrinth der Schützengräben erreicht. Wellblech klapperte unter dem Gewicht des Krankenwagens. Die Hauptstraße war gerade breit genug. Da fortwährend alte Zufahrten verschüttet und neue gesprengt wurden, musste sie jedes Mal, wenn sie hierherfuhr, eine andere Strecke nehmen.
Eine weitere Granate explodierte, außer Sicht und doch ganz nahe. Kleine Klumpen prasselten auf das Dach des Führerhäuschens. Nur Erde, kein Schrapnell.
Trotz aller Rückschläge war sie immer noch Reporterin. Sie wollte versuchen, mehr über den Roten Baron zu erfahren. Sie dachte an die Musketiere von Maranique: Bertie, Algy und Ginger. Die drei würden ihr Rede und Antwort stehen. Sie waren so naiv, dass sie dem Kaiser während des Waffenstillstands 1914 vermutlich Weihnachtskarten geschrieben hatten.
Sie war fast am Ziel. In der Nähe befand sich eine Sammelstelle für Verwundete, die man auf Tragen gebettet hatte. In letzter Zeit hatte es keine nennenswerten Verluste mehr gegeben. Die Deutschen bereiteten ihre Offensive vor, ein veritables Stahlgewitter. Die rückwärtigen Stellungen waren wie ausgestorben, da die Alliierten sämtliche in Frankreich stationierten Männer und Geschütze an die Front beordert hatten. Das heutige Bombardement diente vermutlich einzig und allein dem Zweck, die Alliierten zu zermürben. Die Offensive - die sogenannte Kaiserschlacht - rückte beständig näher.
Sie zerrte an der Bremse, und die Ambulanz kam ruckartig zum Stehen. Auf alles gefasst, sprang sie aus dem Wagen und versank
bis über die Gamaschen im quatschenden Morast. Die unter einem Zeltdach aufgebauten Tragen waren vollständig belegt. Sie hatte Platz für fünf Patienten, während nicht weniger als fünfzehn Männer darauf warteten, nach Amiens verbracht zu werden.
Der befehlshabende Offizier war Captain Tietjens, ein anständiger Kerl, den Jahre im Schlamm gezeichnet hatten. Trotz der dicken Schmutzschicht erkannte er Kate sofort und erbot sich, ihr eine Tasse Tee zu holen. Die Vampire an der Front pflegten das Gebräu mit einem Schuss Rattenblut zu süßen.
»Nein, danke«, sagte sie, um die mageren Vorräte nicht weiter aufzuzehren. »Ich habe ein Paket mit Schleichware unter dem Sitz. Etwas Tee, ein halbwegs genießbares Stück Brot, eine Tüte Pfefferminzbonbons. Und ein paar andere Sachen.«
Sie reichte ihm die Kostbarkeiten, für die sie ihr letztes Geld gegeben hatte. Sie war ein Vampir, sie konnte sich selbst versorgen. Tietjens ließ das Paket verschwinden: Er würde es an die verteilen, die es nötig hatten.
Ein Großteil der Verwundeten war Amerikaner. Immer neue Yanks wurden herbeigeschafft, um der Offensive Einhalt zu gebieten. Die meisten waren bereits im Einsatz.
Neben einer Trage kniete, bucklig wie ein altes Weib, ein Infanterist und hielt die Hand eines verwundeten Kameraden. Der Junge auf der Trage war allem Anschein nach nur noch ein Torso: Unterhalb der Hüfte war die Decke glatt, von süßem Blut durchtränkt. Zu ihrer großen Verlegenheit sprossen ihre Fangzähne hervor.
Der Freund des Verwundeten blickte sie an. Er schien viel zu benommen, um sich vor ihr zu fürchten. Es war Bartlett, der Soldat, der in Amiens mit ihr angebändelt hatte. Er hatte sich verändert. Seine brennende Begierde war wie weggeblasen: Er war zugleich ein hilfloses Kind und ein verrückter alter Mann. Sie las
seine Erinnerungen. Sie wollte, sie hätte sich dem entziehen können.
»Verflucht«, stieß sie hervor.
Eddie Bartlett hatte binnen weniger Wochen einen tausendjährigen Krieg durchlebt. Abgesehen von dem Halbmenschen auf der Trage war Eddie der einzige Überlebende der Kameraden aus dem Café in Amiens. Er war praktisch der Letzte der Gruppe, die zusammen nach Europa gekommen war.
Sie wollte Bartlett ihre Hilfe anbieten. Er konnte alles von ihr haben, ihren Körper, ihren Saft, wonach auch immer ihm der Sinn stand. Sie wollte Gutes tun.
Tietjens und sie mussten die Tragen allein in den Krankenwagen hieven. Bartlett ließ die bleiche Hand seines Freundes nur widerstrebend los,
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