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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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durchzuckte Winthrops Adern.
    »Wir haben Manfred von Richthofens Bruder Lothar abgeschossen. Auch kein Kostverächter. Vierzig Siege.«
    Der Rote Baron war noch am Leben. Der Zweck, zu dem Winthrop sich verwandelt hatte, war noch nicht erreicht.
    »Ich weiß, was in Ihnen vorgeht, Edwin. Sie freuen sich. Sie wollen sich diesen Fang nicht entgehen lassen.«
    Winthrop versuchte gar nicht erst, den Amerikaner mit Parolen wie »Einer für alle, alle für einen!«, »Kämpfen bis zum letzten Mann!« oder »Der Sieg ist unser!« hinters Licht zu führen.
    »Sie werden den Adler noch früh genug vor die Flinte bekommen«, sagte Allard. »Wenn nicht sogar weitaus fettere Beute.«
    Winthrop schauderte.
    Cigarette schrie kichernd auf. Allard warf dem Mädchen einen missbilligenden Blick zu. Sie saß auf Alex Brandbergs Schoß. Seine Lippen klebten an ihrer Brust.
    Winthrop entschuldigte sich, ergriff die Steigbügel, die man für Albert Ball an den Balken befestigt hatte, und stand auf.
    »Ich brauche frische Luft«, sagte er.
     
    Es war der 20. März, laut Kalender Frühlingsanfang. In Frankreich herrschte trübes Winterwetter. Winthrop stand vor dem Bauernhaus, sog gierig kalte Luft in seine Lungen und versuchte sich zu konzentrieren. Sein Vampirblut war also doch zu etwas nütze. Seine Entschlusskraft kehrte zurück. Dennoch fühlte er sich geschwächt. Immer wenn er sich zu geistigen Höhenflügen aufschwingen wollte, um Klarheit über Ball und Kate et cetera zu gewinnen, war er wie gelähmt. Seine Gedanken kreisten nur mehr um Mord und Rache. Alles andere verschwand in einem roten
Nebel. Was unterschied ihn von den Troglodyten? Oder von gemeinen Schlächtern in Uniform?
    Zwei Burschen zwängten sich mit einem langen Bündel durch die Küchentür. Winthrop witterte Blut. Das Bündel war die ohnmächtige Cigarette. Die Männer lehnten sie neben ihrem Fahrrad gegen einen Zaun.
    Winthrop trat näher. Die Burschen wischten sich angewidert die Hände ab und zogen sich zurück. Das Mädchen trug einen Schal um die Schultern. Zwischen seinen Brüsten steckte eine Rolle Banknoten, so dünn wie eine Zigarette. Der Regen benetzte sein Gesicht mit einem Tränenschleier. Seine blutunterlaufenen Augen sprangen auf. Cigarette griff nach dem Geld und schob es tiefer in ihr Mieder.
    Er machte keine Anstalten, ihr zu helfen. Sie würde es ihm ohnehin nicht danken. Mit geübten Fingern inspizierte Cigarette die Bissspuren an Hals und Brust. Als sie die ausgefransten Wundränder betastete, zuckte sie zusammen. Dann legte sie sich den Schal um wie einen Notverband. Die Wolle war mit geronnenem Blut besudelt. Cigarette rappelte sich mühsam und mit gemessener Würde hoch, wie ein Betrunkener, der so tut, als sei er nüchtern. Sie hielt sich mit einer Hand am Zaun fest, bis sie gerade stehen konnte, und bedachte Winthrop, das Bauernhaus und den Flugplatz mit einem verächtlichen Blick. Dieses Mädchen hasste den Boche kaum mehr als die alliierten Flieger, die es für Geld zur Ader ließen.
    Der Regen schmeckte nach Blut.
    Cigarette stieg auf ihr Fahrrad und strampelte davon. Sie brachte ihre Röcke außer Reichweite der Speichen und beugte sich tief über den Lenker. Ob sie eine Familie zu ernähren hatte? Einen Mann? Kinder? Oder war sie nichts weiter als eine Schlachtenbummlerin, die den Soldaten überallhin folgte?
    Sein plötzliches Interesse für das Mädchen bereitete ihm Unbehagen.
Da wurde ihm klar, dass dies die Kate in ihm sein musste. Der Regen spülte all seine Bedenken fort. Nur ein Narr blieb freiwillig im Regen stehen.
     
    Bei Sonnenuntergang rief Allard zur Einsatzbesprechung. Winthrop wusste sofort, dass es um etwas Ernstes ging. Die Tafel mit dem Dienstplan des Geschwaders war leer. An der Wand hing eine große Karte der Umgebung. Und neben dem Captain hockte Mr. Caleb Croft. Seine Miene war unergründlich.
    Winthrop saß auf Balls Stuhl, zwischen Bertie und Ginger.
    »Mr. Croft hat Ihnen etwas mitzuteilen«, sagte Allard.
    Das war ungewöhnlich. Winthrop konnte sich nicht entsinnen, dass der Geheimagent jemals ein Wort gesprochen hatte.
    Croft stand auf, beugte sich ein wenig vor und sagte: »Gentlemen, Konflikte, von denen Sie bislang nichts wussten, sind im Gange. Ein geheimer Krieg, wenn Sie so wollen. Wir haben den Feind übertölpelt. Wir haben seine Luftritter gewähren lassen. Wir haben Männer wie Richthofen zu Legenden stilisiert, haben den Feind ermutigt, sein Vertrauen in sie zu setzen, ihren Wert zu

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