Die Vampire
der Wahrheit sein. Die Menschen würden auf sie hören. Der Stein würde ins Rollen kommen.
»Dummheiten?«, entgegnete sie. »Mein lieber Charles, wenn Sie sich da mal nicht gewaltig irren.«
Drittes Buch
DRACULA CHA-CHA-CHA
Ich hätte gern in einen meiner Filme eine Vampir-Sequenz eingebracht, obwohl ich kein Blut sehen kann - und trinken kann ich es schon gar nicht […] aber der Vampir war mir ein zu starkes Bild, das der Phantasie keinen Raum mehr lässt.
Federico Fellini in: Charlotte Chandler, Ich, Fellini
Es wird Zeit für unsere Kultur, Dracula zu entsagen und ihn hinter uns zu lassen.
Robin Wood, »Burying the Undead: the Use and Obsolescence of Count Dracula«
I
DREI LEICHEN IN EINEM BRUNNEN
Verlobungsanzeige aus der Londoner Times vom 15. Juli 1959:
Asa Vajda, Prinzessin von Moldawien, wird Vlad ehelichen, Graf Dracula, ehemals Prinz der Walachei, Woiwode von Transsylvanien und Prinzgemahl von Großbritannien. Der Bräutigam war zuvor verheiratet mit Elisabeta von Transsylvanien (1448-62), Prinzessin Ilona Szylagi von Ungarn (1466-76), Marguerite Chopin aus Courtempierre (1709-11), Königin Viktoria von Großbritannien (1886-88) und Sari Gabòr aus Ungarn und Kalifornien (1948- 49). Die Braut, eine entfernte Verwandte der Mutter des Bräutigams, Prinzessin Cneajna Musatina von Moldawien, stammt aus dem Geblüt derer von Javutich. Seit sie 1938 ihre Heimat verlassen musste, hat sie in Monaco und Finnland ihren Wohnsitz. Die Hochzeit wird am 31. Oktober dieses Jahres im Palazzo Otranto im italienischen Fregene stattfinden.
1
Dracula Cha-Cha-Cha
A litalia bot im vorderen Teil des Flugzeugs eine spezielle Klasse für Vampire an. Die Fenster waren mit schwarzen Vorhängen gegen die Sonne verhüllt. Entsprechend teuer war der Flug. Warmblütige konnten gegen Aufpreis ebenfalls dort buchen, was aber niemand getan hatte. Umgekehrt stand Kate der normale Passagierraum nicht zur Verfügung. Die Fluggesellschaft ging davon aus, dass die Untoten daran vor lauter Reichtum ohnehin kein Interesse hatten, was in Kates Fall eine Fehleinschätzung war.
Das Flugzeug startete am Nachmittag bei trübem Wetter in Heathrow und sollte bei Sonnenuntergang in Rom landen. In der Luft las Kate sich gut in Samstagnacht und Sonntagmorgen ein. Sie nahm das Motto »Lasst euch von den Blutsaugern nicht kaputtmachen« nicht persönlich und identifizierte sich mehr mit Arthur Seaton als mit den Vampiren, die die Fahrradfabrik leiteten, in der er arbeitete. Alan Sillitoe machte keine Stimmung gegen ihre Art, er gebrauchte Metaphern. Wobei man in einigen Gegenden Englands tatsächlich auf Intoleranz stieß: Sie war im vergangenen Jahr in die Blutkrawalle von Notting Hill geraten, und von kruzifixschwenkenden Halbstarken, die sie im Waschsalon bedrängten, konnte sie auch ein Lied singen.
In den zwanziger Jahren hatte sie Venedig besucht und während der alliierten Invasion in Sizilien und Süditalien gedient, aber in Rom war sie noch nie gewesen. Geneviève hatte ihr angeboten, sie am Flughafen Fiumicino abzuholen, aber Kate wollte die Fahrt in die Stadt lieber allein machen. Geneviève blieb besser bei Charles. Sie verbrachten gerade ihre letzten gemeinsamen Tage miteinander. Sie konnten die ungestörte Zeit gebrauchen,
bevor Kate kam, um Geneviève etwas unter die Arme zu greifen, und damit zwangläufig auch den Anstandswauwau spielen würde.
So nah wie Geneviève hatte sie Charles nie gestanden, nicht einmal 1888, als sie noch eine junge Frau und Geneviève seine erste Vampirin gewesen war. Natürlich liebte Kate ihn, was albern war und traurig und bald dazu führen würde, sich allein und verloren vorzukommen. Sie kam bei Charles Beauregard immer an letzter Stelle: nach seiner Frau Pamela, seiner Verlobten Penelope, seiner Königin Viktoria und - wegen ihrer Allgegenwärtigkeit am schwersten zu ertragen - nach der anbetungswürdigen Geneviève Dieudonné.
Kate musste sich oft vor Augen führen, dass sie Geneviève gernhatte. Was es wahrscheinlich nur noch schlimmer machte.
Gegen Ende des Fluges wurde ein Imbiss serviert, eine lebende weiße Maus. Da sie sich nicht gern in der Öffentlichkeit nährte, lehnte Kate ab. Als sie zu der Stewardess in der flotten Uniform aufsah, fiel ihr zwischen Kragen und Kehle ein himmelblaues Seidentuch auf. Kate spürte die Bissmale der warmblütigen jungen Frau und fragte sich, ob Alitalia vom Bordpersonal wohl verlangte, dass es wichtigen vampirischen Kunden den Hals darbot.
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