Die Vampire
Wahrscheinlich hatte sie eher einen untoten Freund, der sich nicht beherrschen konnte.
»Wenn ich vielleicht Ihre noch haben dürfte?«, fragte ein Passagier, ein Ältester mit schmalem Gesicht. »Mir knurrt der Magen.«
Er hatte bereits eine sich windende Maus in der linken Hand.
Kate zuckte höflich die Achseln. Er beugte sich über den Gang und griff in den kleinen Käfig der Stewardess.
»Vielen Dank, Signora«, sagte er, als er seine Beute hatte.
Der Vampir öffnete den Mund wie eine Python. Rote Membranen entfalteten sich, als die Kiefer ausrenkten und eine Doppelreihe
Fangnadeln entblößten. Er warf sich beide Happen in den Schlund und zerbiss krachend ihre kleinen Leben. Er walkte die Mäuse durch wie Kaugummi und schluckte, die breiigen Fellbündel in den Backentaschen, den Saft in winzigen Portionen hinunter.
Der Älteste trug vollen Putz: weißes Rüschenhemd, schwarze Frackschleife, Cutaway aus Samt, Brokatweste, Siegelring vom Playboy-Club, Schnallenstiefel, Armbanduhr von Patek Lioncourt, schwarzer Abendumhang mit rotem Futter. Er sah aus wie ein mitteleuropäischer Habicht: das gelackte schwarze Haar streng vom spitzen Ansatz zurückgekämmt, weißes Gesicht, rote Augen, Scharlachlippen.
»Oder wäre Signorina richtig?«, fragte er mit vollem Mund.
»Miss«, gab sie zu. »Katharine Reed.«
Der Älteste spie Haut und Knochen dezent in eine Papierserviette, die er zu einem kleinen Bündel faltete und zur Beseitigung an die Stewardess weitergab.
Mit einem förmlichen Nicken stellte er sich vor.
»Graf Gabor Kernassy, aus dem Geblüt des Vlad Dracula, ehemals in der Karpatischen Garde des principe tätig.«
In seinem italienischen Exil wurde Dracula il principe genannt, der Fürst. Ein Titel, der ihm zustand und der ihn von den zahllosen Grafen wie diesem hier abhob, die in seinem Gefolge umherschwebten. Eine Anspielung auf Machiavellis Anleitung für geniale Tyrannen war ebenfalls beabsichtigt.
»Dies ist meine Nichte«, wies Graf Kernassy auf die Vampirin auf dem Fensterplatz neben sich. »Malenka.«
Ein kurzer Blick genügte, um zu wissen, welche Sorte »Nichte« Malenka für den Grafen darstellte. Sie war für einen großen Auftritt zurechtgemacht, in einem bodenlangen scharlachroten Abendkleid, das ganz auf die Betonung ihres enormen Busens ausgelegt war. Der Ausschnitt bot freien Blick auf ein tiefes Tal
und reichte fast bis zum Bauchnabel hinab. Auf den oberen Wölbungen ihrer Brüste glitzerten Diamanten. Ihre hellblonde Mähne war von vergleichbarer Üppigkeit, und ihr rasiermesserscharfes Lächeln verdankte sie entweder dem Blutgeschlecht oder der schwedischen Zahnmedizin. Ihre kastanienbraunen Augen blitzten ebenso arrogant wie belustigt.
Kate rügte sich dafür, dass sie Malenka gleich in eine Schublade steckte. Sie hatte sie mit einem Blick als eine nouveau eingestuft, eine dieser neugeborenen Vampirdamen, die sich an geeignete Älteste heranmachten, weil sie gern zu vornehmen Leuten gehören wollten, die dreihundert Jahre älter waren.
Sie winkte der Frau mit den Fingerspitzen. Malenka klappte gezupfte Brauen hoch.
Die drei waren die einzigen Vampire auf diesem Flug. Kate fand einen gewissen Gefallen an dem alten Halunken von einem Grafen, der sich des Eindrucks, den Malenka machte, durchaus bewusst zu sein schien. Kernassy hielt gerade lange genug in der Darstellung seiner Rolle während der höfischen Intrigen mehrerer Jahrhunderte inne, um sie zu fragen, was sie beruflich tat und warum sie nach Rom wollte. Sie wich der letzteren Frage aus, indem sie die erstere beantwortete.
»Ich bin Journalistin. Für den Manchester Guardian und den New Statesman.«
»Journalisssten!«, fauchte Malenka, das erste Wort, das Kate von ihr hörte. »Die reinssten Tiere!«
Malenka lächelte, als möge sie Tiere, und zwar am liebsten roh.
»Meine Nichte ist von Ihrer Presse verfolgt worden. Sie ist sehr leicht zu erkennen.«
Kate schenkte den Gesellschaftsspalten nicht viel Aufmerksamkeit, meinte sich aber zu erinnern, dass sie Malenka schon einmal auf Fotos im Tatler gesehen hatte, wie sie hinreißend gelangweilt in einem Café in Soho saß oder in Ascot einen atompilzförmigen
Hut präsentierte. Es gehörte zu ihrem Beruf, bei allen erdenklichen Presseerzeugnissen auf dem Laufenden zu bleiben. Außerdem wusste sie gern, was man heutzutage trug.
»Die Filmgesellschaften sind an ihr interessiert«, fuhr der Graf fort. »Sie ist fotogen.«
Die meisten Vampire waren das nicht. Nur
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