Die Vampire
gemacht.
Charles wartete an der Victoria Station. Auf sie beide. Einen Augenblick lang befürchtete Kate, er könne Polizeibeamte bei sich haben, um sie verhaften und nach Devil’s Dyke bringen zu lassen. Sie entdeckte Sergeant Dravot in der Menge.
Charles schüttelte Edwin die Hand, und Edwin stammelte eine Entschuldigung, die Charles lächelnd beiseitewischte. Er wusste, dass Edwin nicht mehr er selbst gewesen war.
»Sie haben Urlaub«, sagte Charles. »Und den werden Sie vermutlich im West Country verbringen wollen.«
»Erst einmal muss ich von den Toten auferstehen.«
»Da Sie nach wie vor unter den Lebenden weilen, dürfte Ihnen das nicht allzu schwerfallen«, meinte Kate.
»Sie haben leicht reden. Sie sind Miss Catriona Kaye schließlich keine Erklärung schuldig.«
»Sie auch nicht, Edwin. Glauben Sie mir, sie wird keine Erklärung fordern. Sie wird froh sein, dass sie ihren Liebsten wiederhat.«
Ihr Edelmut war geradezu beängstigend. Sie schüttelte Edwin die Hand und warf ihm einen flüchtigen Kuss zu. Alles ging sehr freundschaftlich vonstatten. Ihre Augen füllten sich mit heißen Tränen, doch sie weigerte sich standhaft, ihnen nachzugeben.
Wie die Pfarrerstochter wohl mit dem Heimkehrer zurechtkommen mochte? Kate wusste, dass Catriona am meisten würde leiden müssen, da er von den tiefen Wunden, die der Krieg geschlagen hatte, trotz allem niemals vollständig genesen würde.
»Ich werde Ihre Laufbahn aufmerksam verfolgen«, sagte sie mit erhobenem Zeigefinger. »Also benehmen Sie sich ordentlich.«
»Ich habe das Cambridge Magazine abonniert, damit ich weiß, was in Ihrem klugen Köpfchen vorgeht.«
Edwin ließ ihre Hand los, warf sich seinen Kleidersack über die Schulter und ging davon.
Charles legte ihr die Hand auf die Schulter. Sie hatte vergessen, dass er wusste, wie ihr zumute war.
»Er ist zu jung für Sie«, sagte Charles.
»Wer ist das nicht?«
»Sie wissen sehr wohl, dass es überall auf dieser Welt weit ältere Geschöpfe gibt als Sie.«
Sie wandte sich zu Charles um. Er war die Ruhe selbst. Trotz der geheimen Kriege, in die er maßgeblich verwickelt gewesen war, hatte er sein Gleichgewicht wiedergefunden. Das machte ihr Mut.
Edwin verlor sich im Gedränge der Soldaten und ihrer Liebchen. Das Band zwischen ihnen war gerissen.
Dravot ließ Edwin ziehen. Er blieb bei Charles.
»Und, werden Sie jetzt nach Russland reisen, um sich um die bolschewistische Revolution verdient zu machen?«, fragte Charles.
Sie schüttelte den Kopf. »Nicht, solange es für mich hier ausreichend zu tun gibt. Die alten Männer sind noch nicht am Ende. Es wäre eine Sünde, sie ausgerechnet jetzt in Ruhe gewähren zu lassen. Den Krieg und die Irland-Frage nicht zu vergessen. Gräfin Markowitz und Erskine Childers haben mich gebeten, einem Home-Rule-Komitee beizutreten.«
»Ich möchte nichts mehr davon hören. Am Ende stehen wir uns als Feinde gegenüber.«
Sie strich über sein Revers. »Das will ich doch nicht hoffen, Charles.«
»Ruthven ist immer noch an der Regierung, obwohl das Kabinett sich gegen ihn verbündet hat. Und Dracula wurde zwar degradiert, fungiert aber nach wie vor als enger Berater des Kaisers.«
Kate überdachte seine Worte.
»Der rote Durst wütet in ganz Europa, in ganz Amerika, ja, auf der ganzen Welt. Und aus diesem Grund müssen wir die mörderischen Horden bekämpfen, aus diesem Grund müssen wir den toten Händen das Steuer entreißen.«
Charles lächelte. Er sah jünger aus als sonst. Kate wusste, dass er eine große Zukunft vor sich hatte. Edwin war tot am Wegesrand zurückgeblieben, für sie und vermutlich auch sich selbst verloren. Doch Charles marschierte munter weiter.
Neuzugänge - Freiwillige und Rekruten mit noch unblutigen Händen - traten aus dem Glied und drängten sich vorbei, um den Fährzug zu besteigen. Die unschuldigen Gesichter der Warmblüter und Vampire erfüllten Kate mit Trauer. Für diese Knaben war der Krieg ein Fest des Feuers und der Ehre. Solange solche Lügen herrschten, würde auch der Wahnsinn weitergehen.
»Ich sollte Sie festnehmen lassen«, meinte Charles, »bevor Sie noch mehr Dummheiten anstellen.«
Sie überlegte, worüber sie als Nächstes schreiben sollte. Über den Krieg, die alten Männer, die Regierung. Sie wollte schreiben und spotten, kritteln und mäkeln, bis ihre Stimme selbst den Trommelschall der Chauvinisten und das Geschwätz der Politiker verstummen ließ. Sie konnte unmöglich die letzte Priesterin
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