Die Vampire
ferngehalten. Die Paparazzi, die Malenka verfolgt hatten, waren durch weniger hektische, hungriger wirkende Polizeireporter ersetzt worden. Auf der Via San Vincenzo wurde aggressiv gehupt. Trotz der Absperrungen nahm ein Kerl auf einer Lambretta eine Abkürzung über die Piazza und wurde von bewaffneten Carabinieri verscheucht.
Der Schatten, den Kate an der Seite des Brunnens gefunden hatte, wurde kleiner. Das grelle Licht tat ihr in den Augen weh. Sie spürte das Stechen der Sonne auf Gesicht und Händen und wusste, dass sie knallrot werden würde. Verbrennungsnarben von der Sonne brauchten manchmal Jahrzehnte zum Heilen. Sie hatte vorgehabt, den Tag in geschlossenen Räumen zu verbringen, wie es sich für einen Vampir gehörte, und erst nach Einbruch der Dunkelheit wieder auf der Bildfläche zu erscheinen.
Sie sah sich nach Marcello um. Er unterhielt sich entspannt mit ein paar uniformierten Polizisten sowie vermutlich einigen Reportern. Sie boten sich gegenseitig Zigaretten an und lachten. Kate erkannte die professionelle Kaltschnäuzigkeit von Leuten, die dort zu Gange waren, wo sich Grausiges abgespielt hatte, ob sie nun von der Presse waren oder von der Polizei. Sie war es ebenfalls gewohnt, bei einer Zigarette zu plaudern, während man an einer kugeldurchsiebten, blutbespritzten Wand lehnte, am Tatort irgendeines Massakers.
Was hatte Marcello dem Inspektor erzählt? Sie kannten einander eindeutig. Silvestri hatte bei seiner Ankunft als Erstes den italienischen Reporter beiseitegenommen und konzentriert dessen ausführlicher, gestenreicher Darstellung gelauscht.
Einer der Männer aus der Gerichtsmedizin stieß einen Laut des Ekels aus und fischte den toten, wassertriefenden Kater heraus. Alle drückten sie ihr Mitgefühl für das arme Ding aus. Daraus ließ sich vielleicht schließen, welches Ansehen Vampire in Rom besaßen. Wie schwarze Vogelscheuchen lugten aus der Menge immer wieder Nonnen und Priester und funkelten sie missbilligend an. Die katholische Kirche würde sich mit ihresgleichen nie abfinden können.
Kate ging davon aus, dass sie die Hauptverdächtige war. Marcello war zurück auf die Piazza gekommen und hatte sie allein mit den Überresten von Graf Kernassy und Malenka vorgefunden. Er hatte den Mörder nicht gesehen, hatte nicht einmal sein albernes Lachen gehört.
Sie hatte ihre Geschichte dreimal wiederholt und einem Polizeizeichner eine Beschreibung gegeben. Sie hatten gemeinsam eine Skizze zusammengebracht, die peinlich nach einem Bösewicht aus einer Bildergeschichte aussah, mit verrücktem Grinsen und allem Drum und Dran. Wenn sie das nächste Mal beinahe umgebracht wurde, würde sie darauf achten, dass es sich um einen Täter handelte, den man ernst nehmen konnte.
»Haben Sie das kleine Mädchen gefunden?«, fragte sie Silvestri. »Es sah traurig aus und verängstigt. Es hat den Mörder gesehen.«
»Ah ja«, sagte er und täuschte die Notwendigkeit vor, sein Gedächtnis anzustrengen, indem er in seinen Notizen blätterte. »Das kleine weinende Mädchen.«
»Es können nicht mehr viele Kinder auf der Straße gewesen sein. Es wurde schon fast hell.«
»Hier sind immer Kinder auf der Straße, Signorina. Wir sind hier in Rom.«
»Sie sah aber nicht danach aus …«
Was meinte sie damit? Sie hatte nur das Gesicht der Kleinen gesehen.
Nein, das Spiegelbild ihres Gesichts. Verkehrt herum. Sie konnte nicht sagen, was die Kleine angehabt hatte. Sie hatte den Eindruck, dass es sich nicht um ein zerlumptes Gassenkind handelte, sondern dass das Mädchen im Gegenteil aus einem reichen Elternhaus stammte. Altes Geld. Warum dachte sie das?
»Ihre Haare«, dachte sie laut. »Sie waren lang, sauber. Gepflegt. Frisiert. Sie hingen ihr über das eine Auge, so wie Veronica Lake sie trägt.«
Silvestris Mund blieb starr, aber er lächelte mit den Augen.
»Sie sind eine aufmerksame Beobachterin«, sagte er.
»Ich bin Reporterin. Das gehört zu meinem Beruf.«
Seine Stimme veränderte sich erneut, als er seinem Assistenten, Sergeant Ginko, in schneller Folge Befehle gab. Kate verstand ein paar Wörter. Ragazza, Mädchen. Lunghi capella, lange Haare. Veronica Lake, hui-hui.
Sie nahmen sie jetzt ernst. Gut.
»Was haben Sie noch gesehen und können Sie berichten?«
Sie hätte beinahe etwas gesagt.
Dieses kopfstehende Gesicht. Blonde Locken, trauriges Clownsgesicht, Tränen. Der Mörder, kostümiert wie ein Henker. Maske, nackte Brust, Strumpfhosen. Ein Aufblitzen von tödlichem Rot, von
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