Die Vampire
von dem er immer angenommen hatte, dass es ihm am besten liegen würde. Allerdings gab es hier so einige Gemälde, meist in alten und überladenen Stilen, die er nicht schätzte. In seinem Turmzimmer hing ein aufgeblähtes zorniges Pferd mit Alptraumaugen. Renaissancekitsch zierte die Ballsäle; Bibelszenen, die von verfluchten Gewitterwolken und abstoßenden Akten wimmelten.
Die Toten hielten an den Moden ihrer Lebenszeiten fest. Mit Ausnahme von il principe, dessen frühe Begeisterung für Van Gogh - er war der Einzige, der dem Künstler etwas abgekauft hatte - sich im Exil immer wieder bezahlt gemacht hatte. Leinwände, die beim Kauf nichts wert gewesen waren, bildeten nun die Sicherheit für Kredite, die den Haushalt unter den reichsten Europas bleiben ließen. Diese Klecksereien, auf die Tom gern einmal einen Blick geworfen hätte, waren in Draculas Privatgemächern unter Verschluss, in den untersten Kellern.
In dieser auf den Kopf gestellten Welt befanden sich die luxuriösesten und gesuchtesten Wohnlagen tief unter der Erde, so dicht wie möglich an der Hölle, und hatten die Ausstrahlung von Grabmalen oder Grüften. Dachwohnungen, die jeden amerikanischen Millionär zufriedenstellen würden, wurden halb lebendigen Dienern und versklavten Blutspendern angedreht.
Während seiner Monate hier hatte Tom il principe nur einmal zu sehen bekommen, mit Penelope. Er blieb in seinen Räumlichkeiten und besuchte kaum einmal das Fest, dessen Gastgeber er war. Er schien ihm wie jeder andere uralte Tote mit seinem langen weißen, militärischen Schnurrbart und den dunklen Brillengläsern, die ihn an die Flügel eines schwarzen Käfers erinnerten. Dennoch bewunderte Tom Dracula, und wenn auch nur wegen seiner Begeisterung für Van Gogh. Dieser Geschmack, der einmal gewagt und radikal gewesen war, deutete auf eine Offenheit dem Neuen gegenüber hin, die für die Toten uncharakteristisch war.
Und weil er - trotz seiner gegenwärtigen Lebensumstände - immer noch gefährlich sein konnte, ein Raubtier. Tom hegte Respekt für ihn. Er würde il principe in Ruhe lassen und darauf hoffen, dass Dracula es mit ihm genauso hielt.
An den Morgenden, bevor der Haushalt sich regte, nahm Tom sich eine kostbare Auszeit. Er saß gern im Kristallsaal, einem Wintergarten im Erdgeschoss, und sah durch dessen zwölf Meter hohe Glaswände zum Grundstück hinaus. Noch vor der Mittagszeit war der Raum ein Kaleidoskop aus Sonnenlicht; hier wurde Tom kaum einmal von den Toten belästigt.
Er nahm seinen Lieblingssessel in Beschlag, um die International Herald Tribune zu lesen und eine Fingerhut-Tasse bitteren, starken Espresso nach der anderen zu trinken. Die warmblütigen Diener der Tagesschicht, die selten lange blieben, setzten alles daran, ihn zufriedenzustellen. Er war kein grausamer Mensch, aber eine gelegentliche Verbeugung oder ein Kratzfuß waren doch ganz schön. Er fand, dass er sich diese Mußezeit verdient hatte. Es hatte einigen Einfallsreichtum und harte Arbeit gebraucht, hierherzukommen.
Überall tanzte Sonnenlicht, spiegelte sich in den drachenschuppenartigen Scheiben des Wintergartendachs, ließ Balken wirbelnden Staubs aufstrahlen, malte eckige Muster auf den alten Teppich. Tom spürte die Wärme auf seinem Gesicht und war versucht, die Augen zu schließen und zu dösen. Er brauchte den Tag zwar nicht in einem Sarg mit Bostoner Erde zu verbringen, aber er war immer noch die ganze Nacht über auf gewesen. Selbst der aufs Herz schlagende Kaffee konnte ihn nicht ewig wach halten. Seine Gewohnheit war es, am Nachmittag und frühen Abend Siesta zu machen, um aus dem Weg zu sein, wenn die Toten sich erhoben.
War sein Widerwille nur die Voreingenommenheit eines Amerikaners? In den Staaten gab es nicht viele lebende Tote. Die Prohibition
hatte sie in den Zwanzigern nicht komplett hinausjagen können, aber sie führten weiterhin eine Existenz im Untergrund und schossen anders als in Europa nicht wie Pilze aus dem Boden. Gesetzliche Einschränkungen ihrer Praktiken wurden konsequent angewandt. Tom betrachtete sich gern als frei von den meisten Konventionen, aber irgendetwas an diesen Kreaturen ließ ihm keine Ruhe.
Er lockerte seinen Morgenmantel am Hals und öffnete die obersten Knöpfe seines Hemdes von Ascot Chang. Dickies Hemd ursprünglich. Er hoffte, etwas Farbe zu bekommen. Mittelmeerbräune würde die Bisswunden weniger herausstechen lassen. Und er wollte nicht für einen der Toten gehalten werden. Er war so viel mit ihnen
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