Die Vampire
zusammen, dass um ihn herum allmählich eine Wand wuchs, die ihn von den Lebenden trennte.
Erst als er nach Europa gekommen war, den Kopf randvoll mit Gruselgeschichten seiner Tante über blutsaugende Monstren an jeder Straßenecke, hatte er wirklich etwas über die Toten erfahren. So furchterregend waren sie gar nicht.
Auf seine eigene unscheinbare Weise war er ein Raubtier, das sich von den Toten nährte.
In Griechenland, wo Tom sich aus keinem sonderlich guten Grunde aufgehalten hatte, war er Richard Fountain über den Weg gelaufen, einem ziemlich jungen Neutoten. Sie kannten einander von einer Wochenendgesellschaft in den Hamptons her, zu der Tom nicht direkt eingeladen gewesen war. Dickie, der inzwischen einer lästigen Freundin und einem schrecklichen College in Cambridge entflohen war, freute sich über die Wiederbegegnung und nahm ihn mit in sein Strandhaus auf Zypern. Irgendwie war der Engländer auf die Idee gekommen, dass Tom aus einer reichen Familie stammte, von der er sich entzweit hatte und nun von ihren Schecks lebte. Tom gelang es nie herauszufinden, warum Dickie unmöglich weiter in England leben konnte, aber es hatte ihn
jedenfalls nach Südosten getrieben, auf der rastlosen Suche nach etwas Undefinierbarem. Sein Kurs hatte ihn zu einem toten Bauern namens Chriseis geführt, der ihn gleich in der ersten Nacht verwandelt und in der Dunkelheit liegengelassen hatte.
Zusammen kamen Tom und Dickie ganz schön herum, hüpften von Insel zu Insel und erlebten die üblichen Abenteuer. Dickie war, bedingt durch seine kürzliche Erfahrung, von den Toten Griechenlands besessen. Er forschte überall nach Spuren von Chriseis’ Blutgeschlecht, das seiner Meinung nach bis zu den vorvolukas der jüngsten Zeit und den lamiae des Altertums zurückreichte. Das war schon zum Gähnen, aber nichts, mit dem man nicht fertig wurde. Langeweile war immer noch besser, als im Gefängnis zu sitzen. Wenn Tom eines vermeiden wollten, dann einen Knastaufenthalt. Er verabscheute die Vorstellung erzwungener Nähe, in einem beengten Raum mit einem oder mehreren anderen Männern zu sitzen, die er sich nicht aussuchen konnte.
Durch Dickie wurde Tom etwas Wichtiges über die Toten klar. Wenn ihre Zähne einem im Hals steckten und ihnen das eigene Blut durch den Mund lief, dann waren sie nicht in der Lage zu bemerken, dass man ihre Taschen durchsuchte.
In seiner Unwissenheit hatte Tom geglaubt, die Toten brauchten Blut zum Überleben wie die Lebenden Wasser. Das war falsch. Warmes Blut konnte wie Rauschgift sein oder Alkohol oder Sex oder Espresso oder Zucker. Alles von einer verzweifelten Abhängigkeit bis hin zu einer leichten Schwäche. Wenn sie der rote Durst überkam, blieb von ihrem berühmten Scharfblick und ihrer Suggestivkraft nicht mehr viel übrig.
Am Anfang entschuldigte Dickie sich dafür, Tom bluten zu lassen, und war anschließend immer zutiefst dankbar. Er kannte sich nicht aus. Jedes Mal, wenn er einen armen warmen Teufel biss, sagte er »Verzeihung«, »bitte« und »vielen Dank«. Dann begann er einen arroganten Zug zu entwickeln, als hätte er sich Tom
zum Sklaven gemacht oder so. In langen, weitschweifigen Monologen erging Dickie sich kurz vor der Dämmerung im Strandhaus über die Sünde und das Böse und die Genugtuung, über die Notwendigkeit, die Sünde hinter sich zu lassen und sich das volle menschliche Potenzial zu eigen zu machen. Wörter wie »Sünde«, »böse« und »Schuld« waren für Tom bedeutungslos. Er hatte sie oft in der Schule gehört und war fasziniert von ihrer Bedeutung gewesen, aber nur in akademischer Hinsicht, als wären es unglaubwürdige wissenschaftliche Theorien, für die Jahrhunderte verschwendet worden waren. Es war ein Wunder, dass Dickie an diesem ganzen Quatsch immer noch etwas fand.
Allmählich wurde Tom klar, dass dieses Arrangement nicht ewig bestehen konnte. Er musste nach einem angenehmen Ausweg suchen.
Ein paar Tropfen Blut benebelten Dickie völlig, machten ihn ungewöhnlich beeinflussbar. Nach etwa einem Monat dieser Verbundenheit bemerkte der Tote nicht länger, wenn Tom sich Sachen dauerhaft lieh. Er trug gern Dickies englische Garderobe, die von einer Qualität war, wie er sie schätzte. Es war ein Glück, dass sie etwa dieselbe Größe hatten.
Als er den Tod akzeptierte, warf Richard Fountain sein Leben weg. Es war nur recht und billig, wenn Tom es aufhob. Er war schließlich am besten in der Lage, es zu genießen.
Am Ende wurde die Situation reichlich
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