Die Vampire
ansehen«, verlangte er.
Geneviève machte das elektrische Licht an. Selbst nach Jahrzehnten noch hatte sie das Gefühl, nach einer dünnen Wachskerze zum Entzünden der Leuchter greifen zu müssen. Manchmal hatte sie einen Lichtschalter zu drehen versucht wie den Absperrhahn einer Gaslampe.
»Ich bin mir nicht sicher, ob dir diese Frisur steht«, sagte Charles besorgt. Kates Hände fuhren an ihren freien Nacken. »Es ist mehr ein Haarschnitt.«
Kate wurde rot, die Sommersprossen verschwanden fast. Sie wand sich immer regelrecht, weigerte sich zu glauben, dass sie
in einem gewissen Licht attraktiv sein könnte. Viktorianer hatten Vorurteile gegen rote Haare, also hatte sie gelernt, sich für ihr Aussehen zu schämen. Nun hatte der Geschmack sich geändert, und sie konnte durchaus als modisch durchgehen. Sie war zierlich genug für den New Look. Selbst eine Brille galt heutzutage nicht mehr als Verunstaltung.
»Ich hatte kurzes Haar, als ich warmblütig war«, sagte Geneviève. »Es war in Mode. Wegen Jeanne d’Arc.«
Charles ließ sich das durch den Kopf gehen. »Du warst eines dieser Mädchen, die als Junge durchgingen und die Meere befahren und Piraten werden wollten. Kate hat einen seriöseren Beruf.«
»Das sehen viele anders, Darling.«
Kate stand auf und küsste ihn.
Geneviève durchzuckte es. Ihre Nägel schoben sich ansatzweise heraus.
Nach kurzem Nachdenken wusste sie, dass Kate den Kuss verdient hatte. Sie war da gewesen, als Geneviève gefehlt hatte. Während Geneviève dem zwanzigsten Jahrhundert aus dem Weg gegangen war, hatte Kate dazugehört und war während der Alptraumjahre an Charles’ Seite geblieben.
Kate tupfte sich die Augen mit einem Taschentuch.
»Schau«, sagte sie. »Ich weine. Du hältst mich bestimmt für albern.«
»Ganz und gar nicht«, sagte Charles sanft.
»Kate ist bereits in einen Mordfall verwickelt«, sagte Geneviève.
»So liest man, ja.«
Charles wies auf die Nachmittagsausgaben von Il quotidiano und Paese sera. Sie lagen auf einem nierenförmigen Couchtisch, dem jüngsten Möbelstück im Raum.
»Ich musste sie vor der Polizei retten.«
»Wer leitet die Ermittlungen?«
Geneviève sah zu Kate.
»Ein Inspektor Silvestri«, sagte Kate. »Kennst du ihn?«
»Ich habe von ihm gehört. Er soll ein guter Mann sein. Letztes Jahr hat er dieses Pärchen gefasst, das blutige Schmetterlingsbroschen auf den Leichen seiner Opfer hinterließ. Aber diesem Mörder hat er natürlich noch kein Ende gesetzt. Den Zeitungen zufolge hast du den scharlachroten Henker gesehen?«
»Eigentlich nur sein Spiegelbild«, sagte Kate.
»Ein feiner Unterschied, den man durchaus machen sollte.«
Charles war lebhafter, als Geneviève ihn seit Wochen erlebt hatte, lebhafter sogar als bei dem Besuch des britischen Spions. Sie hatte gar nicht gewusst, dass er sich für die Morde an Vampirältesten interessierte, aber es überraschte sie nicht. Sorgte er sich um ihre Sicherheit? Er war gelegentlich sehr besorgt um sie, aber sie hatte sich das mit den Übertreibungen des fortgeschrittenen Alters erklärt. Sie hatte ihn unterschätzt. Wieder einmal.
»Letzte Nacht mitgezählt, hat es siebzehn Morde gegeben seit der Befreiung«, erzählte Charles Kate. »Alles Vampirälteste. Alle in Rom, und die meisten an öffentlichen Plätzen. An Touristenorten sogar. Professor Adelsberg wurde in der Engelsburg gepfählt. Dieser Leutnant von Dracula, den man Radu den Widerwärtigen genannt hat, wurde auf den Stufen des Museo Borghese enthauptet. Und die Herzogin Marguerite de Grand, die als große Schönheit galt, wurde im Schatten der Statuen von Castor und Pollux auf der Piazza del Quirinale vernichtet.«
»Adelsberg sagt mir etwas«, sagte Kate. »War er nicht ein Kriegsverbrecher? Einer von Hitlers Vampirärzten?«
»Möglicherweise war er kein Opfer des scharlachroten Henkers. Die anderen waren echte Älteste, vier- und fünfhundert Jahre alt, zumeist aus dem Geblüt Draculas und mit Titeln und Auszeichnungen,
die es bewiesen. Der Professor hat nicht einmal sein Jahrhundert vollgemacht. Vielleicht haben die Israelis ihre Leute auf ihn angesetzt. Oder er ist aus Prinzip ermordet worden, von jemandem, der einen guten Grund hatte. Wie du weißt, passiert so etwas, wenn über Mörder lang und breit berichtet wird. Trittbrettfahrer begehen ähnliche Verbrechen, schieben ihnen Morde unter, die gar nichts damit zu tun haben. Das geht so leicht, wie man am Strand einen Kieselstein verstecken kann.«
»Für
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