Die Vampire
einen Ältesten wirkte Kernassy gar nicht so monströs.«
Da war sich Geneviève nicht so sicher. Kate hatte den Grafen nur ein paar Stunden am Ende eines vierhundert Jahre währenden Lebens gekannt. Kernassy gehörte zu il principes Karpatern, und die waren eine viehische Meute. Vielleicht hatte dieser eine hier nur etwas bessere Manieren gehabt.
»Trotzdem ist es schon merkwürdig«, sagte Charles, »dass du da mitten hineinspazierst.«
»Sie hat am Flughafen eine Bekannte getroffen und sollte ein bisschen was erleben«, sagte Geneviève. »Penelope.«
Für einen Moment sah Charles ganz ermattet aus.
»Arme Penny«, sagte er leise. Er machte sich zu viele Vorwürfe dafür, was aus Penelope Churchward geworden war, was sie aus sich gemacht hatte.
»Sie taucht wirklich auf wie die sprichwörtliche Böse«, sagte Kate. »Penny, meine ich. Was hat sie vor, dass sie jetzt bei Dracula mitmacht?«
Charles versuchte die Schultern zu zucken, bekam sie aber nicht hoch.
Es war immer noch ungeklärt, ob Geneviève ihr Charles weggenommen oder Penny ihn für ihren Fangvater verlassen hatte, den in schlechter Erinnerung behaltenen Lord Godalming. Geneviève war der Ansicht, dass keines von beidem richtig stimmte. Charles hatte Penelope sich selbst überlassen, weil er eine
größere Verpflichtung empfand, und Geneviève war zufällig zeitgleich mit dieser Verpflichtung in sein Leben getreten. Wäre es anders gewesen, hätte er sein Versprechen Penelope gegenüber gehalten, ganz gleich wie unglücklich es sie beide gemacht hätte.
Er war, in vielerlei Hinsicht, ein unmöglicher Mann.
»Trefft ihr euch mit ihr?«, fragte Kate.
»Sie ist vorbeigekommen«, gab Geneviève zu. »Ab und zu mal.«
»Das wundert mich nicht.«
»Das ist alles lange her«, sagte Charles.
Das sah Geneviève aber anders. Und Penelope wahrscheinlich auch. Kate genauso.
Am Ende seines Lebens war Charles versöhnlich.
Freilich hatten Kate und er Penelope als warmblütiges Mädchen gut gekannt. Geneviève lernte sie im Grunde erst als eine dieser Neugeborenen kennen, die reinweg gar nichts begriffen. Gleich nach der Verwandlung hatte Penelope schlechtes Blut getrunken und sich für zehn Jahre zu einer Invalidin gemacht. Die Behandlung durch einen Quacksalber mit Blutegeln hatte auch nicht viel geholfen. Wenn überhaupt, dann hatte Geneviève - die damals als Ärztin arbeitete - ihr das Leben gerettet. Es war ihre Pflicht gewesen, also unterschied sie sich wohl gar nicht so sehr von Charles.
»Sie war die Erste, die fand, ich sollte mich verwandeln«, sagte Charles. »Sie wollte, dass wir zusammen Vampire wurden. Es schien das Richtige, wenn man fortschrittlich sein wollte.«
Kate warf Geneviève einen alarmierten Blick zu. Er nahm ihre sorgfältig aufgebaute Argumentation vorweg.
»Gené, Kate.« Charles sah sie an, als wären sie seine beschämten Enkelkinder. »Ich weiß, dass ihr es nicht so meint wie sie, aber ihr wollt dasselbe. Das, was ich nicht tun kann.«
Kate bedeckte ihr Gesicht, um die Tränen zu verbergen.
»Es tut mir leid, Kate.« Charles berührte sie am Ellenbogen. »Der Fehler liegt nicht bei dir. Oder bei dir, Gené. Sondern bei mir.«
Trotz der Stärke seiner Gefühle verging er vor ihren Augen. Mit jedem Tag, mit jeder Stunde vielleicht, wurde er schwächer, seine Ausstrahlung unbestimmter, verlor er Substanz.
»Du bist nicht zu alt dafür, Charles«, sagte Geneviève. »Du kannst dich noch verwandeln. Ganz bestimmt.«
Er schüttelte den Kopf.
»Du könntest wieder jung sein«, seufzte Kate.
»Er wurde wieder jung«, sagte Charles. »Graf Dracula. Ich bezweifle, dass er an seiner neuen Jugend viel Freude hatte. Er kam mir immer wie ein zutiefst trauriges Individuum vor. Als er sich verwandelte, ging ihm etwas verloren. Das ist bei den meisten Vampiren so. Selbst bei euch, meine unsterblichen Lieblinge.«
Er sah gelassen aus, aber Geneviève hörte seine Aufgeregtheit. Sein Herz schlug schneller. Seine Augen waren feucht. Seine Stimme brach beinahe.
»Ist es denn so egoistisch von mir?«, fragte er. »Gehen zu wollen?«
Später, nach Einbruch der Dunkelheit, saßen sie beisammen und redeten über die Vergangenheit, zwangen sich dazu, die Gegenwart und die Zukunft auszublenden. Kate drängte Charles, Geneviève von den vielen Dingen zu erzählen, die sie verpasst hatte, als sie in diesem Jahrhundert nicht bei ihm gewesen war.
Natürlich hatte sie mitbekommen, wie nahe Charles und Kate einander während des
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