Die Vampire
fragte weiterhin: »Wird also auch von Ihrer Majestät erwartet, dass sie einen Abstecher nach Italien macht, um Zeuge zu werden, wie ein früherer angeheirateter Verwandter die nächste dynastische Ehe eingeht?« Der Premierminister gab zur Antwort: »Ich hatte noch nicht Gelegenheit, dieses Thema mit Ihrer Majestät zu besprechen, gehe aber davon aus, dass sie ihrem geschätzten Verbündeten und einstigen Landsmann Graf Dracula gern ihre herzlichen Glückwünsche übermitteln würde.« Eine weitere Debatte wurde durch Unruhe unter den Abgeordneten des Hauses verhindert.
8
Journalismus
K ates Zimmer war ein winziges Kabuff im hintersten, obersten Winkel der Pension. Ein hohes, schmales Fenster ging zu einer schmalen Gasse hinaus, über die sich Wäscheleinen spannten. Hemden und Bettlaken flatterten träge im warmen Wind. Es handelte sich um das für Vampire reservierte Zimmer. Statt eines Bettes stand ein aufgebockter roher Holzsarg darin, in dem eine gefaltete Decke lag. Weniger ausgeblichene Flecken auf der Tapete zeigten, wo ein Kruzifix und ein Spiegel gehangen hatten. Falls der Gideonbund seinen Lesestoff zurückgelassen hatte, war er entfernt worden.
Die Zimmer im Hotel Hassler boten bestimmt einen anderen Komfort.
Nachdem sie kurz nach Einbruch der Dunkelheit in Trastevere angekommen war und die Nacht hindurch mit Charles und Geneviève geredet hatte, kletterte sie mit der Absicht in den Sarg, den Großteil des Tages bewusstlos zu verbringen. Endlich einmal war ihre zierliche Statur von Vorteil. Die Holzkiste bot genügend Platz. Kurz vor dem Einschlafen dachte Kate an die Piazza di Trevi zurück. Sie hätte das Geschehene gern beiseitegeschoben, aber irgendetwas ließ sie nicht los …
Graf Kernassy, Malenka, der scharlachrote Henker … das Mädchen. Hatte es mehr gesehen als sie? Vielleicht konnte sie die Kleine ja aufspüren und sich einmal mit ihr unterhalten.
Marcello, mit einer Milchflasche.
Sie lächelte, und der Schlaf der Toten kam über sie.
Zunächst beschied man ihr knapp, das Telefon im Flur dürfe ausschließlich von der Familie der Pensionswirtin benutzt werden.
Nachdem sie deren Sohn fünfhundert Lire hinübergeschoben hatte, wurde ihr die Lage ausführlicher erklärt. Anscheinend würde ihr bei einem Notfall das Telefon durchaus zur Verfügung stehen. Weitere fünfhundert Lire waren ein überzeugender Beweis, dass es sich in der Tat um einen Notfall handelte. Kate führte weiter aus, dass der besagte Notfall sich über die gesamte Dauer ihres Aufenthalts erstrecken würde, und verabschiedete sich der Überzeugungskraft halber von einer weiteren Banknote.
»Wenn Sie es sagen, Signorina«, antwortete der Sohn der Wirtin, ein fünfzigjähriger Stubenhocker. Er trug ein weißes Netzunterhemd, aus dem Brusthaare wucherten. Hosenträger kerbten seine teigige Mitte wie Käsedraht. Ein Opfer der mütterlichen Küche.
Er steckte das Geld ein und ließ sie allein.
In London erledigte sie einen Großteil ihrer Arbeit am Telefon. Da sollte sie auch mit diesem ungewohnten System fertigwerden. Nur ihr nicht gerade flüssiges Italienisch versprach eine Hürde zu sein.
Als Erstes versuchte sie es mit Inspektor Silvestri. Er war nicht im Haus, aber sie kam zu Sergeant Ginko durch, der sich an sie erinnerte. Sie ging davon aus, dass es keine offiziellen Entwicklungen in der Mordsache Piazza di Trevi gab. Auch keine inoffiziellen, seinem sorglosen Geplauder nach zu schließen. Silvestri sei drüben im Hotel D’Inghilterra, wo es einige Aufregung gebe. Der Sergeant brach mitten im Satz ab und wechselte das Thema. Hotel D’Inghilterra. Das musste sie sich merken. Vielleicht gab es ja doch eine inoffizielle Entwicklung.
Sie zog alle Register der hilflosen jungen Ausländerin und erzählte Ginko, dass sie sich mit Marcello verabredet hätte, aber durcheinandergekommen sei. Ob er wohl die Nummer der Zeitung hätte, für die Marcello arbeitete? Ginko wusste, wen sie meinte, und sagte, er wäre Freiberufler ohne festes Büro und sie
solle es einmal im Café Strega versuchen. Das natürlich in der Via Veneto lag. Sie dankte ihm und hängte ein.
Als Nächstes rief sie Geneviève an. Charles schlief noch. Aus Genevièves Tonfall schloss sie, dass er einen schlimmen Tag gehabt hatte, was ihr leichte Schuldgefühle bereitete. War ihr Besuch zu anstrengend gewesen? Sie war hier, weil sie helfen, und nicht, weil sie stören wollte. Geneviève, die Kates Bedenken erahnte, versuchte sie zu beruhigen.
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