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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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Zwischen ihnen blieb Ernstes ungesagt. Das Telefon war für so etwas nicht geeignet. Als Vampire waren sie beide gewohnt, Nuancen von Gesichtsausdrücken wahrzunehmen, Gedanken aufzufangen, Gefühle. Auf verrauschte Worte zurückgreifen zu müssen, kam fast der Benutzung von Winkzeichen gleich.
    Sie spielte mit dem Gedanken, Penelope anzurufen, entschied sich aber dagegen.
    Café Strega. Hexenkaffee. Das beschwor ein Bild herauf: Mit Sahne und Molchaugen, Signora? Sie versuchte sich zu erinnern, um welches Straßencafé es sich handelte.
     
    Ganz gegen ihre Art verwendete sie einige Gedanken darauf, was sie anziehen sollte. Ein Kleid war gefragt, und sie hatte nur drei eingepackt. Ein weißes und elegantes (Christian Dior, einmal getragen), ein schwarzes und schlichtes (Coco Chanel, hatten sie an dem Stand im Portobello Market versichert), ein graubraunes und praktisches (ohne großen Namen). Das elegante hob sie besser für die Feierlichkeiten im Palazzo Otranto auf, womit sie lieber dem schlichten als dem praktischen den Vorzug gab. Das Problem war, dass sie in dem schlichten aussah wie ein Schulmädchen auf Abwegen. Sie war fast hundert; sie wollte nicht, dass angegraute Männer ihr Süßigkeiten anboten. Ach egal, dann nahm sie eben das elegante. Das war gut genug für Audrey Hepburn.
    Für den Ball würde sie etwas Neues kaufen. Geneviève kannte
bestimmt die richtigen Geschäfte. Sie war ein alter Hase, was diese ganze Haute Couture betraf. Kate gefiel die Vorstellung, sich etwas Aufsehenerregendes von Pero Gherardi zuzulegen.
    Als sie so weit war, dass sie die Pension verlassen konnte, ging schon die Sonne unter. Am Viale Glorioso, vor dem Ministero della Pubblica Istruzione, fand sie ein Taxi, musste es aber kurz nach der Überquerung des Flusses wieder aufgeben. Wie sie bereits herausgefunden hatte, war Rom nicht gerade gut organisiert, was zügige Fahrten auf mehr als zwei Rädern betraf. Zu Fuß lernte man eine Stadt ohnehin besser kennen. Sie bezahlte den gleichgültigen Taxifahrer und schlug sich allein weiter durch. Bis zur Via Veneto war es nur ein Spaziergang, allerdings keiner ohne Komplikationen.
    Sie wünschte sich prompt, sie hätte sich für das schlichte oder das praktische Kleid entschieden. In ihrem weißen war sie eindeutig zu elegant angezogen. Einige warmblütige Müßiggänger auf der Piazza Barberini pfiffen ihr hinterher. Sie merkte, wie sie rot wurde. Der gentile signorina, womit wohl sie gemeint war, wurden Einladungen nachgerufen, die sie glücklicherweise - oder unglücklicherweise - nicht verstand. Eigentlich, fand sie, störte es sie gar nicht weiter. Ihr wurde nicht oft hinterhergepfiffen. Wahrscheinlich wurde jede Frau, die vorbeikam, hier so behandelt. Ob Kompliment oder Beleidigung, es war nichts Persönliches. Noch hatte ihr kein Italiener in den Po gekniffen. Wobei sie ihnen natürlich vielleicht auch Angst machte.
    Ein paar Neugeborene waren schon früh unterwegs. Auf der anderen Seite der Piazza, den Müßiggängern gegenüber, hielt sich eine vergleichbare Gruppe gut aussehender Vampirjugendlicher auf, schick angezogen und mit modernen Haarschnitten, bleichgesichtige Kumpane mit hübschen kleinen Fangzähnen. Sie trugen den Nachkriegslook: weiße Anzüge von Cerutti, die allgegenwärtigen Sonnenbrillen, schmale Hemden von Casa Lemi und
Goldkettchen im offenen Kragenausschnitt. Die vitelloni ließen Kate kommentarlos vorbeigehen, senkten aber im Gleichtakt die Sonnenbrillen, als ihr eine warmblütige junge Frau entgegenkam, und starrten diese an, ließen die vereinten Kräfte ihrer hypnotischen Fähigkeiten spielen.
    Kate musste lachen. Aber die Taktik schien aufzugehen. Die Frau, eine nicht ganz gelungene Kopie der Schauspielerin Pier Angeli, blieb unvermittelt stehen. Einer der Neugeborenen machte gebieterische Gesten der Verzauberung, lockte sie mit langen Fingern, projizierte ihr ein »Du stehst unter meinem Bann« in den Kopf. Wie eine Marionette an unsichtbaren Fäden drehte sie sich langsam zu der Vampirmeute herum, das schöne Gesicht ohne jeden Ausdruck. Die Neugeborenen lächelten fangzahnstarrend. Der große Hypnotiseur genoss schweigend seinen Triumph.
    Die junge Frau lachte sie aus und ging weiter. Sie hüpfte in einen blendend weißen Maserati und kuschelte sich an einen warmblütigen Mann in den Sechzigern. Er hatte eine deutliche kahle Stelle auf dem Kopf und rauchte eine riesige Zigarre. Der Sportwagen schoss davon.
    Der Hypnotiseur war am Boden zerstört.

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