Die Vampire
entkommen?«
Es war Marcello, der italienische Reporter, der überall herumstrich, der bei der Ankunft von Graf Kernassy und dieser Wiehieß-sie-noch-gleich am Flughafen gewesen war, der dabei gewesen war, als diese merkwürdige tote Irin den Mord an dem Grafen mit angesehen hatte.
»Eher umgekehrt, Marcello.«
Der Italiener sah ebenfalls völlig erledigt aus, allerdings waren keine Bisse zu sehen. Seine Wangen waren eingesunken. Die spiegelnden Gläser seiner Sonnenbrille wirkten wie die leeren Augenhöhlen eines Totenschädels.
»Sie sehen aus, als hätten Sie eine schlimme Nacht hinter sich«, meinte Tom.
»Sie auch.«
»Dagegen kann ich schlecht etwas sagen. Diese verfluchten toten Weiber.«
Marcello schnorrte eine Zigarette und steckte sie an, atmete mit müdem Zorn aus.
»Ich war bis in die Hölle und zurück«, verkündete er.
»Zurück habe ich es nicht mehr geschafft.«
Marcello lachte.
»Ich würde Ihre Signorina Churchward gern gegen Signorina Reed tauschen.«
»Die kleine irische Leiche?«
Marcello brauchte einen Moment. »Si. Die kleine irische Leiche. Die hat einen fest im Griff, die Kleine. Lässt nicht locker. Wir waren in I Cessati Spiriti.«
Tom pfiff leise.
»Sie zwei können mir wohl nicht eben zur Hand gehen«, sagte eine tiefe Stimme. Der Mann klang bis auf die Knochen erschöpft.
Es war ein Toter in einem arg mitgenommenen Anzug. Er war
eindeutig in einen Kampf verwickelt gewesen. In mehrere Kämpfe. Löcher in seiner Kleidung schienen von Schüssen herzurühren, und ein Ärmel war komplett abgerissen.
»Ich glaube, wir haben etwas gemeinsam. Ich bin zurück aus der Hölle und ebenfalls von einem Vampirmädchen verlassen worden.«
Er machte ein paar Schritte aus der Dunkelheit und brach zusammen.
Marcello sah Tom über den Rücken des Toten hinweg an. Er zuckte die Schultern.
15
Sonnenaufgang
G eneviève war drauf und dran, Penelope den Kopf abzureißen und ihn ihr in die Brusthöhle zu stopfen. Nachdem sie sich, Bond im Schlepptau, aus Brastows Versteck herausgekämpft hatte und mühsam, voller Befürchtungen, zurück zur Via Eudosiana marschiert war, hatte sie gewiss nicht vor, sanft mit einer hochnäsigen Nosferatu -Schnepfe wie Penelope Churchward umzuspringen.
Kate zögerte und trat beiseite, so dass Penelope Geneviève anfauchen konnte. Pennys Blut kochte, ihre Fänge waren voll ausgefahren, die Augen aufgerissen. Sie konnte vielleicht ein Kind erschrecken, dem seine Mami noch nie eine Fratze vorgemacht hatte, und war wahrscheinlich willensstark genug, ihre warmblütige Beute zu überwältigen. Aber das Feuer, um eine Älteste einzuschüchtern, besaß sie nicht.
Geneviève ließ weder Krallen noch Zähne sehen.
Sie hatte in dieser Nacht genug gekämpft und von mehreren
Russen getrunken. Sie würde nicht in Raserei verfallen, sondern zielgerichtet vorgehen.
Penelope trat vor, aber Kate legte ihr eine Hand auf die Schulter, hielt sie zurück. Sie nickte zu Charles hin, der in seinem Rollstuhl saß und kaum noch lebte.
Die erste Morgenröte kroch ins Zimmer.
Sie sah an Charles’ Gesicht, dass es sein letzter Tag sein würde. Ein Eissplitter stach ihr ins Herz.
Sie wusste noch, wie sie Charles 1888 das erste Mal gesehen hatte, in einem überfüllten Raum, während einer polizeilichen Untersuchung. Er war anscheinend unbeeindruckt von dem Dreck und dem Blut gewesen, der einzige Mann in London, der in der Lage gewesen war, etwas zu unternehmen, damit die Dinge besser wurden, und sei es zu einem hohen Preis. Später hatte sie gelernt, dass er keiner von den Guten aus den Abenteuergeschichten war, kein muskelbepackter Christenheld, sondern ein Mann, der selbst dann noch versuchte, das Richtige zu tun, wenn alles, was man tun konnte, falsch war.
Wenn Männer wie er nicht aus der Mode gekommen wären - falls sie je in Mode gewesen waren -, dann wäre dieses Jahrhundert ein glücklicheres gewesen. Charles hatte sich geweigert, Dracula als seinen Herrn zu akzeptieren, und während seines Kampfes gegen den Vampirkönig immer aufgepasst, dass er nicht wurde wie er. Edwin Winthrop und Hamish Bond, seine Nachfolger, hatten zu viel vom Feind gelernt, trugen zu viel von Dracula in sich.
Auf Penelopes Bluse war Blut. Ihr eigenes.
»Sie wollte …«, erklärte Kate.
»Ich weiß, was sie wollte.«
Der Zorn in Penelopes Augen flammte auf und erlosch. Sie war frustriert und verängstigt, wie die anderen auch. Für einen klitzekleinen Moment wollte Geneviève sie in den Arm
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