Die Vampire
Edwin Winthrop aus England herübergekommen? Sie glaubte schon, war aber nicht in der Lage gewesen, in dem freundlichen alten Herrn mit dem gestutzten weißen Schnurrbart den kalten jungen Fanatiker zu erkennen, den sie vom Ersten Weltkrieg her in Erinnerung hatte.
Es waren nur wenige Trauergäste erschienen. Marcello hatte Kate gestützt, und später hatten sie sich neben Shelleys Asche geliebt. Von dem Dichter war alles in Rom begraben worden, nur sein Herz nicht. Genauso fühlte sie sich auch.
Am Anfang war Marcello schockiert gewesen, vielleicht sogar unwillig, aber sie hatte ihn sich unbedingt zum Sklaven machen wollen und es überraschenderweise sogar geschafft. Ohne Charles’ zivilisierenden Einfluss wurde aus ihr vielleicht doch noch ein anständiger Vampir, ein Monstrum der alten Schule.
Marcello war heilfroh, dass sie die Geschichte mit dem scharlachroten Henker nicht weiterverfolgte. Keine Ausflüge nach I Cessati Spiriti, keine weiteren Fragen an verdächtige Personen in bedrohlichen Umgebungen. Je mehr sie in ihm aufging, desto weniger bedeuteten ihr die großen Rätsel. Es hatte keine neuen Morde gegeben, keine neuen Hinweise. Die Paparazzi hatten Dutzende Fotos von Sylvia Koscina als Medea geschossen, und das Material über Malenka wurde zu den Akten gelegt, wo es vergessen werden konnte. Es würde andere Sensationen geben.
Ein Zittern überlief sie, so voll war sie. Ihr Herz jagte. Vor ihren Augen trieben Farben und Umrisse. Ihre Haut fühlte sich leicht gespannt an, als würde sie rissig werden. Sie hatte ihren roten Durst mit so viel Blut zu löschen versucht, dass er erneut aufflammte, ihr schmeichelnd zuredete, sie zum Handeln bewegen wollte. Ihre Fangzähne prickelten im Mund, rasiermesserscharfe Kanten glitten aus ihren Hüllen, zerschnitten das Zahnfleisch. Sie spürte ihre Kiefer, ihre Zähne. Aus dem Kribbeln wurde ein Schmerz. Köstlicher Schmerz.
Sie wollte sich wieder nähren.
Mit einem Schnaufen drehte Marcello sich auf den Rücken und sank zwischen die Kissen. Aus halbmondförmigen Schürfwunden an seinem Hals und seiner Brust und noch anderen Stellen, unter dem Laken, traten Tropfen hervor. Ihre Bissmale waren
überall an ihm. Er wurde allmählich bleich unter seiner Sonnenbräune.
Vielleicht war es sogar Liebe. Sie hatten so viel miteinander geteilt.
(Und Charles war nicht mehr, sie war frei für die Liebe …)
Sie fand, dass sie im Gleichklang mit Marcellos schlagendem Herzen war, mit seinem sanft träumenden Geist, seinem von der Liebe erschöpften Körper. Sie hatte seine Pose der Gleichgültigkeit durchstoßen und die wirkliche Persönlichkeit darunter angezapft. Es verbargen sich Freundlichkeit hinter seiner Maske und Leidenschaftlichkeit unter seinem Zynismus, geheimgehaltene Verletzungen, die sie aus ihm herausholen, die sie lindern konnte, sowie eine warme Stärke, die sie aufrechterhalten würde.
Er wollte richtige Bücher schreiben, das wusste sie. Romane, geschichtliche und philosophische Werke. Er bewunderte Lankester Merrin zutiefst, nicht nur für seine Weisheit, sondern auch für seine Prosa. Sie konnte ihn ermutigen, ihm so lange keine Ruhe lassen, bis er den wertlosen Klatschjournalismus aufgab, konnte ihn mit sanftem Druck dazu bringen, ernsthaft an etwas zu arbeiten. Sie würde ihm eine Schreibmaschine kaufen, ihn von anderen abschirmen, wenn er schrieb, und bescheiden die Widmung seines ersten Meisterwerks entgegennehmen. »Für Kate, ohne die …«
Gott, ja.
Seine Augen zuckten unter den Lidern, Traumbewegungen.
Er trug seine dunkle Brille immer bis zum letztmöglichen Augenblick, küsste Kate noch damit. Ihre Brillengestelle verhakten sich immer miteinander. Wenn nichts anderes mehr zwischen ihnen war, nahm er erst ihre Brille ab und dann seine, legte sie ineinander verschlungen neben die Madonnenstatue auf seinem Nachttisch.
Wenn sie sich liebten, sah sie sein nacktes Gesicht verschwommen.
Es war eine Laune des Blutgeschlechts, dass ihre Vampirwerdung sie in vielerlei Hinsicht verändert hatte und nur ihre Sehfähigkeit so eingeschränkt geblieben war wie zu ihren warmblütigen Zeiten.
Kate wusste nicht, welche Farbe seine Augen hatten. Es spielte keine Rolle. Dafür spürte sie, was hinter ihnen lag.
Sie schlüpfte unter das dünne Laken, presste sich an ihn, spürte seine warme Haut am Bauch und an den Brüsten, die kalt waren, versuchte sich so an ihn zu schmiegen, als wären sie die beiden Hälften eines Legespiels. Es war unbequem, also
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