Die Vampire
aussah. Er würde sie später sortieren müssen.
Nein.
Er würde sie nicht mehr sortieren.
»Ich sterbe, Penny.«
Sie hielt inne und sah ihn an. »Und wessen Schuld ist das, Charles? Niemand muss sterben. Jedenfalls nicht endgültig.«
»Nein, Penny. Ich sterbe jetzt gerade.«
Auf einmal war von ihrer rotlippigen Sprödigkeit nicht mehr viel übrig. Mit ihrem entsetzten Blick sah sie wieder wie ein kleines Mädchen aus, das seine Puppen hübsch drapierte, weil Ordnung Schutz vor dem Chaos bot, das einen verletzen konnte.
»Das tut mir leid, Charles.«
Sie sagte es wie eine Schulmeisterin, die einem Schutzbefohlenen pflichtgemäß ihr Mitgefühl ausdrückte, obwohl er an seinen Tränen selbst schuld war und lernen musste, die Suppe auszulöffeln, die er sich eingebrockt hatte.
»Nein, tut mir leid.« Sie war wirklich durcheinander. »So habe ich das nicht gemeint. Es fällt mir schwer zu meinen, was ich meine. Das klingt absurd. Ist es auch. Ich bin kein Monstrum. Ich habe versucht, eins zu sein, aber ich bin keins. Ich empfinde etwas für dich. So viel, wie ich kann.«
Er wollte sie berühren, tröstend seine Hand auf sie legen. Aber er konnte sich nicht rühren.
Penelope stand mitten im Zimmer, von allen Wänden weit entfernt, allein. Sie hob die Hände ans Gesicht. Ließ die Bücher fallen, ganz langsam. Er hörte nicht, wie sie auf den Teppich fielen.
Sie nahm die Hände wieder vom Gesicht. Ihre Augen waren
rot, ihre Fangzähne ausgefahren. Sie sah bösartig und traurig zugleich aus, ein kleines Mädchen, das Teufel spielte.
»Ich weiß nicht, wann ich aufgehört habe, dich verwandeln zu wollen«, sagte sie.
Während der Zeit ihrer Verlobung war sie noch warmblütig gewesen und hatte unbedingt gewollt, dass sie beide Vampire wurden, um in der Welt, die Dracula gestaltet hatte, besser dazustehen. Sie war leidenschaftslos gewesen, sachlich, ohne jede Aufregung über Unsterblichkeit oder das Bluttrinken und die ganzen Nachtsinne, einfach nur überzeugt, dass eine Wiederauferstehung von den Toten ihnen Einladungen in die besten Häuser garantieren und den Neid von Freunden und Bewunderern auslösen würde.
Von allen Vampiren, die er lebendig und untot gekannt hatte, hatte sie sich am meisten verändert. Sie hatte sich Arthur Holmwood ausgesucht, den Lord Godalming, und sein Blut genommen, sich verwandelt. Anschließend hatte sie schnell gelernt und sich von ihren Ambitionen, ihren Beschränktheiten freigemacht. Beauregard wusste noch, wie sie davon erfahren hatte, was für ein Monstrum ihr Fangvater gewesen war, und geschworen hatte, selbst eines zu werden.
Eine Zeit lang war sie eine Mittelalterliche und schwelgte in gestohlenem Blut. Sie verwandelte Fangsöhne und -töchter, legte sich einen eigenen Hexenzirkel zu.
»Nichts mehr übrig von meiner Brut«, sagte sie. »Ich habe meine Liebhaber verwandelt, aber die Willensschwäche, dank derer ich sie beeindrucken konnte, hat jämmerliche Vampire aus ihnen gemacht. Als kleines viktorianisches Mädchen hat man mir beigebracht, Charakterstärke hochzuhalten. Aber alles, was ich getan habe, hat auf Schwäche gefußt.«
Beauregard wollte ihr widersprechen, konnte es aber nicht.
»Du möchtest etwas sagen und kannst es nicht«, stellte sie ebenso
mitfühlend wie triumphierend fest. »Wie hätte ich das damals an einem Ehemann geliebt, in jener verfluchten Zeit. Das bin ich gewesen damals. Und du hast es gewusst.«
Das stimmte.
Penelope war seine dritte vampirische Geliebte gewesen. Kurz vor der Jahrhundertwende, als die Zeit der Schrecken gerade erst hinter ihnen lag und sie den Wiederaufbau des Landes noch vor sich hatten, war er in einer nebligen Nacht in Chelsea angesprochen, in einen dunklen Winkel zwischen zwei Gebäuden gezerrt und gebissen worden. Vergewaltigt, konnte man sagen. Er wusste noch, wie scharfe Zähne wild die Wunden aufgerissen hatten, die Geneviève sanft geöffnet hatte, wie er damit gerechnet hatte, vollständig ausgeblutet und zum Sterben liegen gelassen zu werden. Damals gab es in London noch solche Vampire, Gestrandete nach dem Rückzug ihres Königs und Kaisers, die sich die Unvorsichtigen holten.
»Ich hatte vorgehabt, dich bis an den Rand des Todes zu bringen und dir dann den dunklen Kuss anzubieten. Ich stellte mir vor, wie du mich um das Leben spendende Blut anbetteln und dann mein Sklave werden würdest. Aber man nimmt beim Trinken nicht nur Blut in sich auf. Sondern alles Mögliche. Als ich deinen Geschmack auf der
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