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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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nehmen und nicht töten.

    Dann ruinierte die Vollidiotin es.
    »Er muss verwandelt werden. Es ist viel zu wenig von ihm übrig, um noch Rücksicht zu nehmen. Eine von uns muss seine Fangmutter werden.«
    Geneviève ging schnurstracks zu Charles und kniete sich vor ihm hin. Seine Augen waren noch geöffnet. Sie spürte, wie es mit ihm zu Ende ging, wie er verging, verschwand. Aber er dachte noch immer, war noch immer fest entschlossen.
    Mit großer Anstrengung hob er eine Hand an ihr Gesicht, ihr Haar. Sie küsste sein Handgelenk, ihre Zähne an seinem Fleisch. Sie kostete ihn, verletzte aber nicht die Haut.
    Selbst jetzt war es noch nicht zu spät.
    Und selbst jetzt hatte er keine Angst, seinen Weg zu gehen.
    Er hatte oft gesagt, dass er nichts gegen Vampire hätte, aber nun mal eben keiner sein wolle. Obwohl sie sich schon lange nicht mehr für das schämte, was sie war, verstand sie ihn.
    Geneviève gab der ersten toten Frau in seinem Leben die Schuld, der Frau, die nicht zurückgekehrt war. Pamela.
    Sie dachte das Angebot in seinen Geist hinüber.
    Möchtest du, dass ich es tue?
    Ein winziges, gütiges, dankbares Kopfschütteln sagte es ihr.
    Tränen stiegen ihr in die Augen.
    Penelope und Kate kamen näher. Ihr Zorn war verflogen. Sie waren wieder Kinder. So gab es wenigstens kein Gezänk mehr.
    Geneviève schluckte ihren Ärger über diese Störung herunter. Sie hatte Charles immer teilen müssen, mit Pflichten, mit Erinnerungen, mit anderen, die mehr Anspruch auf ihn hatten.
    Vor Charles hatte sie vier Jahrhunderte gelebt. In dieser Zeit war ihr niemand auch nur ansatzweise so nahe gewesen, nicht ihr Fangvater und auch nicht diejenigen, die sie bleichgetrunken hatte. Vielleicht lebte sie nach Charles noch einmal vier Jahrhunderte. Oder noch länger.

    Sonnenlicht ergoss sich über den Teppich, kroch auf sie alle zu. Sie sollte Penelope warnen, die sehr empfindlich gegen die Sonne war.
    Geneviève küsste Charles’ Lippen.
    Sie konnte seinen Tod niemandem zum Vorwurf machen, weder Penelope noch Bond oder Brastows Schläger oder Edwin Winthrop oder Prinz Dracula. Wenn man ihn in seinen letzten Tagen gestört hatte, dann war es Genevièves Fehler gewesen, diese Leute an ihn herangelassen zu haben, und sein Fehler, sich nicht unter Ausschluss der Außenwelt auf sein eigenes Leben konzentrieren zu können.
    Sie hatte versagt, hatte ihn nicht überzeugen können, den dunklen Kuss anzunehmen. Aber er ließ sie wissen, dass sie nicht versagt hatte, was ihn betraf.
    Sein Blut sang in ihr.
    »Ich liebe dich für immer«, flüsterte er, zu leise, dass die anderen es hörten.
    »Für immer?«, fragte sie.
    »Für immer«, bestätigte er.
    Die Sonne stieg empor und badete sie alle in ihrem sengenden Licht. Als es unerträglich wurde, war Charles kalt.
    Geneviève kniete sich erneut hin, ordnete die Decke um seine Beine, legte seine Hände in seinen Schoß, strich ihm die Haare zurück, schloss ihm die Augen. Es war, als spiele sie mit einer Puppe. Was immer Charles Beauregard ausgemacht hatte, es war nicht mehr da.
    Sie stand auf, trat von Charles zurück und gab Penelope eine Ohrfeige, erwischte die Engländerin unvorbereitet. Ihre Hand hinterließ einen grellroten Fleck.
    »Die ist für das, was du 1899 getan hast.«
    Penelope protestierte nicht, ballte nicht die Fäuste. Etwas in ihr war erloschen.

    Der Raum war orange vom Morgenlicht. Und dunstig.
    Eine von ihnen musste weinen, damit die anderen sie trösten konnten, selbst weinen konnten. Geneviève hatte angenommen, dass es Kate sein würde, aber sie war es selbst. Aus ihrem tiefsten Innern stiegen Schluchzer empor, die ihren ganzen Körper schüttelten. Penelope, an deren Wange der Handabdruck rasch verblasste, zögerte und trat vor, um sie in den Arm zu nehmen, um tröstliche Sinnlosigkeiten zu flüstern. Sie hielten einander und weinten zusammen, dann lösten sie sich voneinander und streckten zwei Arme zu Kate aus, die eher verwirrt als verzweifelt war.
    Kate schloss sich ihnen an, ließ ihre Tränen fließen. Sie sanken zusammen auf einen Diwan, Blut und Wasser im Gesicht, und weinten nicht um das, was verloren war, sondern um das, was zurückbleiben musste. Das Zimmer war voller Licht, das jedes umherschwebende Stäubchen zu einem Funken machte. Der Staub tanzte überall um sie herum.

III
    L’ECLISSE
    Notiz in der Rubrik »Verstorben« der
Londoner Times vom 1. August 1959:
     
    Charles Pennington Beauregard, 105, verstarb gestern friedlich in Rom, teilt

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