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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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und riesige schwarze Kettenglieder erhaschen.
    Aus den Tiefen stieg ein Kopf empor.
    Sie erkannte Dracula: dicke scharlachrote Lippen, ein seilartig gedrehter Schnurrbart und ebensolche Augenbrauen, pechschwarz fallendes, geöltes Haar, Adlernase, Nasenlöcher wie geblähte Nüstern, gemeißelte Wangenknochen, hervorstehende Fangzähne wie zugespitzte Daumen. Und rote Augen, die in Blut schwammen. Um seinen Mund herum war noch mehr Blut. Das Gesicht des Prinzen war eine steife Maske.
    Die Plattform rastete ein.
    Dracula trug einen schwarzen, die gesamte Gestalt verhüllenden, bodenlangen Umhang. Er war viel dünner, als sie ihn in Erinnerung hatte, eine Vogelscheuche mit runden Schultern.
    Die Fanfare endete. Die blauen Flammen wurden kleiner, färbten sich orange. Applaus setzte ein, schwoll zu hysterischem Klatschen an. Frauen seufzten und warfen sich zu Boden, verzückt von Draculas Moschus. In den Augen der Männer standen Hass,
Neid, Erregung, Liebe. Vampirälteste gingen auf die Knie. Geneviève lehnte es entschieden ab, sich diesem Monstrum zu beugen. Er war nicht ihr König, ihr Herr.
    Er war nur ein Ältester, einer von vielen.
    »Mein Gott«, hauchte Welles. »Das hätte ich mir nie träumen lassen. Solche Ausstrahlung, solche Macht. Er ist ein dunkler Gott, ein Prinz der Hölle, ein Avatar der Apokalypse.«
    Sie sah das anders, als Einzige.
    Welles sank keuchend auf die Knie, ein Elefant, der ein Kunststück vormachte. Niemand außer Geneviève wagte es, dem Monstrum ins Gesicht zu sehen. Sie sah, dass etwas nicht stimmte.
    War Dracula erblindet? Seine Augen waren rote Murmeln.
    Das letzte Echo der Fanfare verhallte. Der Applaus legte sich. Eine schluchzende Frau gewann ihre Beherrschung zurück. Stille. Jemand hustete. Il principe sagte nichts. Sein Kopf schwebte dort. Ein Rinnsal Blut lief von einem freiliegenden Fangzahn den fühlerartigen Schnurrbart hinunter, tropfte auf den Umhang und verlor sich in einer Falte.
    Prinzessin Asa sah auf und warf ihren Schleier zurück, entblößte ihr Gesicht. Dracula schenkte ihr keine Beachtung.
    »Mein Prinz …«, sagte sie.
    Geneviève trat vor. Sie fürchtete den Sog, der kommen würde, wenn sie Draculas Machtzone betrat, den Zusammenprall, den sie spüren würde, wenn sein Geist den ihren zu umhüllen und zu beherrschen versuchte. Aber da war nichts.
    Sie ging durch den Saal, durch die erstarrte Menge.
    Flüstern erhob sich. War das eine Wachsfigur?
    Sie trat über die Prinzessin hinweg, die zu begreifen versuchte. Sie sah in Draculas Gesicht hinauf. Es hätte ebenso gut ein Halloween-Kürbis sein können, mit einem geschnitzten Grinsen. Die Kerze darin flackerte, und die Augen zuckten, richteten sich auf sie, krampfartig.

    Geneviève streckte die Hand aus, ergriff eine Falte von Draculas Umhang. Sie riss ihn ab, schleuderte ihn durch den Raum. Das voluminöse Kleidungsstück sank zu einem Haufen zusammen, in dem sich scharlachrot gefütterte Schlitze zeigten, wie Schnitte im Fell eines tapferen Stiers am Ende der corrida.
    Jemand - die Prinzessin? - kreischte.
    Draculas Kopf steckte auf einer Holzstange. Er war unsauber abgetrennt worden.
     
    Minuten später lief sie einen Gang hinab. Verputzte Mauern wichen rauem Stein. Diener liefen neben ihr, die Flammen ihrer Fackeln hinterließen Spuren an der niedrigen Decke.
    Ein Aufseher - Klove - führte Geneviève zu Draculas Höhle.
    Sein Körper bestand schließlich aus mehr als nur dem Kopf.
    Die Prinzessin befand sich im Schockzustand, forderte die Köpfe seiner Mörder. Die Karpatische Garde hatte den Palazzo abgeriegelt. Das halbe ausrichtende Personal erwies sich als Polizisten. Inspektor Silvestri, der die Ermittlungen im Fall des scharlachroten Henkers leitete, hielt Schritt mit ihr.
    Zunächst war der Name nur geflüstert worden, nun wurde er von den Wehrmauern gerufen: der scharlachrote Henker! Wenn das sein Werk war, dann handelte es sich um den wagemutigsten Coup aller Zeiten. Nicht einmal Abraham Van Helsing hatte es geschafft, sich den Kopf von Vlad Tepes zu holen. Sicher, gestorben war Prinz Dracula auch früher schon - sogar schon geköpft worden, da war sie sicher -, aber das hier war der endgültige Tod.
    Dieses Rollen der Augen, der letzte Blick auf sie, war das Ende seines beharrlichen Geistes, der das Fleisch floh, ins Sonstwo entschwand. Jeder andere Älteste seiner Zeit hätte sich in Staub verwandelt, aber Draculas eiserner Wille schob den körperlichen Zerfall hinaus.

    Es gab bereits

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