Die Vampire
Kaufgebote für den Kopf. Der Kommissar hatte ihn in der Obhut von Edgar Poe zurückgelassen. Berühmte Scharlatane - die Doktoren Hichcock, Schuler und Genessier - boten ihre Dienste für die Autopsie an. Zé do Caixão hatte versucht, an Prinzessin Asa heranzukommen und ihr ein Angebot für die Beerdigung zu unterbreiten.
Orson Welles war bei ihnen und hielt erstaunlich gut mit für jemanden von seiner Statur. Der Ariadnefaden der Geschichte hatte ihn gepackt, er würde ihm bis zum Ende folgen.
Spinnwebvorhänge teilten sich, und die kleine Gruppe betrat eine Gruft.
Die Leiche hing halb von einem prächtigen Katafalk herunter und blutete noch immer stark aus dem Halsstumpf. Dracula hatte einen mitternachtsschwarzen Anzug getragen. An seiner Brust war mit einer silbernen Nadel eine rote Blume befestigt.
Die bemalten Wände und die Decke der Gruft, die vielleicht auf das alte Rom zurückdatierten, waren im Stil der modernen Kunst neu dekoriert worden: mit dicken Blutspritzern. Der Prinz hatte als Untoter einen Ozean Blut leergesoffen. Nun floss es als grausiger Strom wieder aus ihm heraus. Dieses Gemäuer stank nach Draculas Tod. So widerwärtig, dass es jeder Beschreibung spottete.
Genevièves Aufmerksamkeit wurde von dem Silbermesser angezogen, das il principe im Herz steckte. Sie kannte es, hatte es lange verloren geglaubt. Das silberne Skalpell von Jack the Ripper. Charles Beauregard hatte es in den Buckingham-Palast geschmuggelt, um Königin Viktoria von ihren Fesseln zu befreien. Nun hatte man das Leben eines weiteren königlichen Vampirs damit beendet. Die rote Blume war ein erstarrter Klumpen von Draculas Herzblut.
»Hier ist noch jemand«, sagte Silvestri.
Geneviève hörte ein Schluchzen, spürte Bewegungen. Sie sah in
Welles’ graues Gesicht, das in der Düsternis schwebte. Klove zog einen Vorhang beiseite. Kalte Luft strömte in die Gruft.
Eine erschöpfte Frau taumelte ins Freie, von Kopf bis Fuß mit Blut besudelt. Kates Brillengläser waren runde rote Scheiben. Ihre Haare starrten von Blut.
IV
BESTATTUNGSRITEN
Nachruf in der Londoner Times vom 9. August 1959:
Vermeldet wird der endgültige Tod von Graf Dracula, ehemals Prinz der Walachei, Woiwode von Transsylvanien und Prinzgemahl von Großbritannien. Geboren 1431, zum Vampir geworden 1476, gehörte Dracula im warmblütigen Leben zu den Herrschern über seine Heimat und verteidigte das Christentum gegen die Türken. Als Vampirältester war er eine der zentralen Gestalten der Moderne. Durch die Heirat mit Königin Viktoria 1886 und die Ausbreitung seines Geblüts in England etablierte er sich nicht nur als Staatsmann unter den führenden Regierungschefs der Welt, sondern auch als Fangvater für zahlreiche Generationen von Vampirbrut. Vor Dracula hatten Vampire ein Dasein im Verborgenen geführt und waren zumeist dem Bereich der Folklore zugeordnet worden. Mit seiner Anwesenheit in London wurde die Existenz der nosferatu allgemein bekannt.
Obwohl er 1897 vom englischen Thron vertrieben wurde und 1918 mit der Niederlage des deutschen Kaisers seine politische Macht verlor, überstand Dracula die Umwälzungen dieses turbulenten Jahrhunderts weit länger, als die meisten seiner Kritiker für möglich gehalten hatten. Nach der Unterzeichnung des Croglin-Grange-Abkommens mit den alliierten Mächten 1943 organisierte er in Südosteuropa eine Untergrundbewegung aus Vampirältesten und -neugeborenen
zur Unterstützung der Invasion Griechenlands und der Karpatischen Nationen. Ohne seinen Einfluss hätte der Zweite Weltkrieg wohlmöglich noch um einiges länger gedauert und weitaus mehr Opfer gekostet. Nach Kriegsende zog Dracula sich nahe Rom in den Ruhestand zurück. Allerdings heizte die kürzliche Ankündigung seiner Verlobung mit Prinzessin Asa Vajda Spekulationen an, dass seine Rückkehr auf die Bühne der internationalen Politik nahe bevorstünde. Zu Kriegszeiten mit ihm verbündete Regierungschefs haben ihn in Stellungnahmen gewürdigt: Lord Ruthven, Präsident Eisenhower, Marschall Schukow und General de Gaulle. Einzig Winston Churchill lehnte es ab, dem Vampirkönig die letzte Ehre zu erweisen.
Die irritierend raschen Veränderungen des Atomzeitalters haben in den letzten Jahren dazu geführt, dass weite Kreise der neugeborenen Vampire der 1880er- und 1890er-Jahre von einer Nostalgiewelle nach den Werten und Gewissheiten der recht kurzen Herrschaft Draculas über England erfasst wurden. Das öffentliche Bild Draculas als tyrannisches
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