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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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den Schlachtfeldern gearbeitet, mit ihr als seiner Gehilfin, und sie hatte Jahrhunderte durchlebt, die allzu oft vom Grauen geprägt gewesen waren. Entsprechend wenig Eindruck machten leere fleischige Hüllen auf sie, und es quälten sie auch keine Gedanken an böse Geister.

    Dieser Ort jedoch bereitete ihr eine Gänsehaut.
    Ebenso sehr aus Neugierde wie aus Pflichtgefühl war sie der Bitte nachgekommen, die ihr die Polizei über den französischen Konsul hatte ausrichten lassen. Angesichts des plötzlichen Exodus von Ältesten aus Rom war sie offenbar die Einzige, die den Toten rechtmäßig identifizieren konnte. Dass sie das bereits am Tatort getan hatte, machte die ganze Angelegenheit eigentlich überflüssig, aber es wollten Formulare ausgefüllt werden, und die Identifikation musste in der Gegenwart eines amtlichen Zeugen erfolgen.
    Sergeant Ginko geleitete sie durch das Labyrinth des Leichenschauhauses. Er brummelte, dass es der scharlachrote Henker in der Stadt nicht so leicht gehabt hätte, wenn nicht von ganz oben Druck ausgeübt worden wäre, den Palazzo Otranto mit möglichst hoher Mannstärke zu bewachen. Geneviève bezweifelte, dass noch so viele Männer die Morde hätten verhindern können.
    Aufgrund seiner blauen Uniform mit dem weißen Gürtel und dem weißen Käppi wusste sie, dass der Sergeant bei der Polizia war, der Staatspolizei. Sie war zuständig für Gewaltverbrechen, stand jedoch in einer gewissen Konkurrenz zu den Carabinieri, den rote Hosen tragenden Militärpolizisten, die gerne tönten, dass es zu alldem nie gekommen wäre, wenn man die Sache ihnen überlassen hätte. Sowohl die Polizia als auch die Carabinieri hatten für die Vigili urbani nur Spott übrig, die Gemeindepolizei, die im Winter Blau und im Sommer Weiß trug und vor allem damit beschäftigt war, unschuldige Verkehrsteilnehmer durcheinanderzubringen.
    Sie gelangten in einen Raum von der Größe eines Schwimmbeckens, der beleuchtet war wie ein amerikanisches Billardzimmer. Reihen kleiner Lampenschirme hingen tief über langen Tischen. Zwischen den Leichen arbeiteten zwei Männer. Geneviève hatte gehört, dass für die gerichtsmedizinische Untersuchung Spezialisten herangezogen worden waren.

    Ginko stellte sie Mr. Herbert West von der Miskatonic University und Dr. Septimus Pretorius vor, der keiner Institution angehörte. Die beiden Gentlemen nickten kaum. Sie waren in die Untersuchung eines ausgebreiteten Aschehaufens vertieft, der von einer schwarzen Langhaarperücke gekrönt war und hier und dort mit Zähnen oder Knöchelchen gesprenkelt war.
    West war ein kleingewachsener Amerikaner mit einem jungenhaften Gesicht, der unsicher und vorwurfsvoll wirkte. Ein Blutspritzer hatte eines seiner Brillengläser beschmutzt und klebte ihm in den gepflegten Haaren.
    »Noch ein bisschen mehr Blut auf diese Asche«, klagte er, »und Luna Mora würde wohl wieder zusammenwachsen und herumlaufen. Selbst noch auf mikroskopischer Ebene bleiben Knoten erhalten, die sich erneut verbinden und ihren Körper wiedererschaffen könnten. Nur ist das Bewusstsein natürlich für immer dahin. Wir könnten nur etwas wiederherstellen und wiederbeleben, das die Gestalt von Luna Mora hätte, nicht aber die Person an sich. Dafür brauchten wir das leibhaftige Gehirn, den Sitz der Vernunft.«
    Dr. Pretorius schnaubte wie eine adlige Witwe, die gerade bemerkt, dass eine Nichte zur falschen Gabel greift. Er hatte das Gesicht eines übellaunigen Zwergs, und seine feinen baumwollartigen Haare standen in alle Richtungen ab. Sein weißer Kittel war makellos.
    »Sie sind ein Blödmann, West«, sagte er.
    West prustete, entgegnete aber nichts. Er lief rot an.
    »Das ist Dreck, weiter nichts«, beschied Pretorius und schnipste sich etwas von den Fingern. »Das meiste ist Straßenschmutz, der zusammen mit den sterblichen Überresten aufgefegt wurde. Würde unsere werte Älteste gern wiederbelebt werden, wenn ihr Körper von Hundekot- und Petroleumrußschichten durchzogen wäre? Ich glaube nicht.«

    »Sie geben meine Ansichten entstellt wieder«, entgegnete West.
    »Wir haben eine Älteste hier.« Pretorius bedachte Geneviève mit einem gelbzahnigen Lächeln. »Sollen wir sie um ihre sachverständige Einschätzung bitten, West? Sollen wir sie fragen, ob sie gern aus der ewigen Nacht zurückgeholt werden würde, nur um festzustellen, dass Splitter von Pflastersteinen in ihren Körper eingewachsen sind wie maligne Tumore? Oder sollen wir die Angelegenheit einfach

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