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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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dadurch beilegen, dass Sie zugeben, ein inkompetenter Schwachkopf zu sein?«
    West wandte sich ab. Pretorius gestattete sich ein kleines triumphales Zucken.
    Sergeant Ginko begann: »Mademoiselle Dieudonné ist hier, um …«
    »Die Leiche Graf Draculas zu identifizieren«, sagte Pretorius. »Ich weiß. Willkommen, die Dame. Möchten Sie einen Gin?«
    Er schwang eine unetikettierte Flasche mit einer klaren Flüssigkeit.
    »Ist meine einzige Schwäche.« Er nahm einen Schluck.
    Geneviève schüttelte den Kopf.
    »Schade. Tut einem gut, Gin. Vampire trinken nicht genug, wissen Sie. Verlassen sich zu sehr auf den kärglichen Nährwert von Blut. Man sollte im Monat mindestens eine Flasche Gin trinken. Und schwachen Tee. Anderenfalls vertrocknet man von innen her. Wie Frösche, wo kein Wasser ist. Gar nicht schön.«
    West schob seine Brille auf die Stirn hinauf. Seine wässrigen Augen musterten Geneviève, und er kam herüber, um sie sich näher anzusehen. Seine Finger tasteten ihr Gesicht ab.
    »Bemerkenswert, bemerkenswert«, sinnierte er. »Die Blässe, die Geschmeidigkeit, die offensichtliche …«
    »Lassen Sie sie wieder runter, West«, fauchte Pretorius. »Hören Sie auf, mit den Gästen zu spielen.«

    »Ich bleibe dabei, dass …«
    »Wen interessiert, wobei Sie Vollidiot bleiben. Entschuldigen Sie, Mademoiselle. Mr. West verfolgt seine verrückten Ideen jetzt schon seit vielen Jahren. Er vergisst immer wieder, dass seine Theorien schon vor dem Krieg verworfen wurden, und tut so, als stecke ein Sinn hinter alldem.«
    Pretorius wies mit schwungvoller Geste durch den Saal.
    »Als ob Sinnhaftigkeit mehr wäre als eine zweckmäßige Fiktion.«
    Geneviève wusste nicht, was sie von Dr. Pretorius halten sollte. Wie die meisten Wissenschaftler, die sich auf die Theorie und Praxis des Vampirismus spezialisiert hatten, war er selbst kein Vampir. Allerdings war er unnatürlich alt. Sie kannte seinen Namen aus Artikeln, die sie vor mindestens hundert Jahren gelesen hatte, und wenn sie sich recht erinnerte, war er damals schon alt gewesen. Während Charles seine jugendliche Erscheinung sehr viele Jahre lang behalten hatte, sah Pretorius uralt aus. Seine Hände waren arthritische Klauen, und seine klaren blauen Augen lagen inmitten von Faltengebirgen, aber seine Verve und sein inneres Feuer deuteten auf eine Vitalität hin, die noch lange nicht erschöpft war. Sich in einen Vampir zu verwandeln war nur der gebräuchlichste Weg, widernatürliche Langlebigkeit zu erreichen. Ein chinesischer Krimineller, dem Charles ein-, zweimal begegnet war, verließ sich angeblich auf ein Elixier, das eigens auf seine Physiologie zugeschnitten war. Und es gab Geschichten von anderen Uralten, die noch immer auf Erden wandelten.
    West stand am Rande eines Schlaganfalls. »Es ist alles Mechanik«, brüllte er, worauf Pretorius ebenso vergnügt wie verschwörerisch das Gesicht verzog. »Wenn wir einen Vorgang nicht verstehen, dann nur, weil wir die Gesetze noch nicht erkannt haben, nach denen er abläuft. Die Toten können wandeln. Das ist ein Fakt. Daran ist überhaupt nichts Magisches. Zweifellos wird sich
ein seit langem existierender, bis jetzt nicht identifizierter Virus - vielleicht mutiert durch Radiumablagerungen in den Karpaten - als Grundlage des Ganzen erweisen. Wenn man sich diesen Virus zunutze machen kann, dann wird es jedermann möglich sein, ohne irgendwelche Einbußen den Tod zu überstehen.«
    Pretorius lächelte. »Seit wie vielen Jahren jetzt, West? Wie lange suchen Sie schon nach Ihrem Virus? Die Idee ist nicht einmal von ihm, Mademoiselle. Er war Lustknabe eines gewissen Dr. Moreau, der einen Großteil der Vorarbeiten für diese sinnlose Exkursion geleistet hat. Und Moreau war ein Mitarbeiter von Henry Jekyll.«
    »Ich weiß«, unterbrach sie den Redeschwall.
    Sie hatte Dr. Jekyll und Dr. Moreau kennengelernt.
    »Ja, nun, natürlich wissen Sie das. Vor Jekyll gab es Van Helsing. Und andere auch noch: Alexander Fleming, Peter Blood, Edmund Cordery. Alle haben sie in ihre Mikroskope geblinzelt, den kleinen roten Zellen beim Karussellfahren zugeguckt und nach einer Antwort gesucht.«
    »Miss Dieudonné«, begann West, »betrachten Sie sich als Wesen der Natur?«
    Pretorius zog eine federartige Augenbraue hoch und forderte sie auf zu antworten.
    »Nicht mehr und nicht weniger als in meinen warmblütigen Jahren.«
    »Sehen Sie, West, Sie sind auf dem Holzweg. Es geht gar nicht darum, dass wir vampirisches Leben nicht verstehen.

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