Die Vampire
Außer der Musik war Geflüster zu hören, als wäre alles gefangen, was in diesem Haus je gesagt worden war.
Diese Tür stand offen. Lichter bewegten sich in dem Raum.
Kate trat über die Schwelle in einen Puff hinein. Der Raum wurde von einem Himmelbett beherrscht, dessen zugezogene Vorhänge mit unzähligen Troddeln behängt waren. Pornografische Bilder bedeckten die Wände. Ein beißender Geruch von ranzigem Parfüm hing in der Luft. Das Licht war roter als Blut, ein kräftiges Scharlach.
Die Vorhänge öffneten sich, und sie sah Marcello in den Armen einer Riesin, das Gesicht in ihrem Busen vergraben. Die Frau lachte. Ihr gewaltiger Mund war mit Essen vollgestopft, ihr Kinn mit Lippenstift verschmiert. Dies war der letzte Aspekt der Mater lachrymarum, die Metze, die Lügnerin.
»Willkommen in Mamma Romas Boudoir, Fräulein«, sagte sie.
Kates Herz war ein Stein.
Der scharlachrote Henker und die Vampirmorde waren ihr
egal. Aber dass Marcello sie wegen dieser ekelhaften Kreatur verlassen hatte, zog ihr den Boden unter den Füßen weg.
Mamma Roma lachte kreischend und presste ihn so dicht an ihre Fleischmassen, dass er zu ersticken drohte. Kate wünschte ihm, zwischen diesen gewaltigen Brüsten umzukommen. Wie alle Männer konnte er sich nur einer Frau richtig hingeben, der Mutter. Er wollte nur die Brust, nicht das Herz.
Weinte sie etwa? Wieder einmal?
Sie wandte sich ab und wollte weglaufen, blieb aber an dem dicken Teppich hängen und schlug hin. Etwas drückte sie auf den Boden, hielt sie fest.
Sie musste den beiden zuhören, dem lauten Gurgeln und Furzen und Glucksen, dem bellenden Auflachen und Aufschreien, den Grunzern der Lust und des Schmerzes. Ihr Schluchzen konnte die Geräusche nicht übertönen. Sie zog sich in ihr Innerstes zurück, schrumpfte zu einem Knoten zusammen und schwor sich, in Zukunft nicht mehr zu sein als ein Hunger mit Zähnen. Penelope hatte binnen Tagen nach ihrer Verwandlung die Lektion gelernt, die Kate bis heute erspart geblieben war.
Zum ersten Mal in siebzig Jahren fühlte Katharine Reed sich wie eine richtige Vampirin.
Bald würde sie sich erheben und auf Beutezug gehen.
Schlanke, nackte Knöchel kamen in ihr Blickfeld. Sie sah auf. Viridiana stand über ihr, in einem schlichten Morgenrock, mit glänzendem Gesicht. Die junge Frau war beinahe traurig.
Sie half Kate aufzustehen und setzte ihr die Brille richtig auf.
Kate war größer als die junge Frau. Sie könnte ihr die Kehle aufreißen und ihr Blut trinken.
Nein. Viridiana war nur ein Viertel dieser Kreatur. Wenn Kate angriff, würde sie der ganzen Frau gegenüberstehen, der Mutter der Tränen, dem Monstrum, das Rom war.
»Warum?«, fragte Kate. »Wozu das alles?«
»Ich kann nur die Wahrheit sagen«, antwortete Viridiana. »Erklären kann ich nichts. Komm.«
Sie führte Kate zu einem anderen Zimmer.
Mit dem Schwingen einer Tür war Viridiana verschwunden. Drinnen, in ihrem Schlafzimmer, erwartete Santona sie.
»Warum?«, fragte Kate erneut.
»Städte können sterben, Katharine Reed aus Irland. Und diese Stadt ist mein Zuhause, mein Reich. Roma hebt und senkt sich wie Ebbe und Flut, aber sie ist immer lebendig, immer in Aufruhr. Die da alt sind, wenn auch nicht so alt wie ich, sind eine Gefahr für das Herz und die Seele Romas. Wesen wie du verlangsamen die Lebensvorgänge, lassen das Blut in den Adern stocken, zermürben eine Stadt. Bald wird es zu viele Älteste geben, und das laugt einen Ort aus, lässt ihn werden wie die Dinge, die in I Cessati Spiriti kauend umherstolpern. Ich bin alt, älter, als du dir vorstellen kannst, aber ich habe ein Spiegelbild, ein Herz, ein Leben. Alles, was ich getan habe, habe ich für Roma getan.«
»Der scharlachrote Henker ist dein Geschöpf?«
»Ein Schauspieler, der meinen Anweisungen folgt? Ja.«
Kate verstand diese Frau. Sie spürte selbst die ersten Zeichen einer Ältesten in sich.
»Du bist wie wir«, warf Kate ihr vor. »Du lässt den Menschen nicht ihren Willen, du machst sie zu Marionetten. Du verlangst Blut, genau wie wir. Du verlangst Liebe und Verehrung.«
Santona nickte. »Aber ich vermag auch zu geben, Katharine. Kannst du das auch von dir behaupten?«
Sie hatte Charles geliebt. Sie liebte Marcello.
Nein.
Sie hatte Marcello geliebt. Sie liebte Charles.
Leben oder Tod spielten keine Rolle.
»Ja«, sagte sie. »Ich vermag zu lieben.«
Santona überdachte ihre Feststellung.
»Ich sehe, du sprichst die Wahrheit. Aber du veränderst dich. Am
Weitere Kostenlose Bücher