Die Vampire
handelte. Sie hatte den Eindruck, dass er kein gebürtiger Römer war.
Hinter seiner eleganten Erscheinung steckte ein Junge vom Lande. Und er kam auch nicht aus einer reichen Familie.
Das hier war ein imposantes Haus.
Kate ging die Stufen hinauf, die einmal zu einem Balkon geführt haben mussten, und blieb vor der Eingangstür stehen. Sie war hellblau und mit goldenen Halbmonden, silbernen Sternen und merkwürdigen Engelsgesichtern bemalt. Kate überlief ein Schaudern. Sie klopfte trotzdem. In der Mitte eines Auges öffnete sich ein Loch.
Einen Moment lang wurde sie angesehen. Sie drehte sich einmal um die eigene Achse, die Hände in der Luft.
Die Tür ging auf. Der Flur war leer. Billiger Trick.
Sie trat ein. Porträts, Spiegel und Türen säumten symmetrisch angeordnet den Flur. Die Spiegel reflektierten die ihnen gegenüberhängenden Porträts. Getrocknete Blätter wehten über den prächtigen roten Teppich. Die Türen waren zu.
Die Eingangstür fiel hinter ihr ins Schloss. Es verriegelte sich.
Ihr kam die Idee, dass vielleicht nicht Marcello ihr die Nachricht hinterlassen hatte. Eine solche Eingangstür hatte sie schon einmal gesehen, bei Santonas Wohnung in I Cessati Spiriti. Worin bestand die Verbindung?
In Ermangelung einer Alternative ging sie den Flur hinunter. In den ersten Spiegeln warf sie kein Spiegelbild. Aber während sie sich dem Ende des Flures näherte, tauchte ein schwarzer Schatten auf, der immer deutlicher wurde, bis sie sich so klar reflektiert sah wie nie zuvor seit ihrem Tod.
Sie betrachtete ihr Gesicht.
Sie hatte ihr Leben lang als reizlos gegolten. Rote Haare, Brille und Sommersprossen waren am Ende des viktorianischen Zeitalters keine anerkannten Schönheitsattribute gewesen.
Im Laufe eines Jahrhunderts hatten sich die Schönheitsideale gewandelt, und ihr war in der letzten Zeit so oft gesagt worden,
dass sie gar nicht mal schlecht aussehe, dass sie nur staunen konnte.
Sie fand sich immer noch reizlos. Vielleicht würde sie immer dem viktorianischen Zeitalter verhaftet bleiben. Aber die kurzen Haare standen ihr. Und eine andere Brille half vielleicht auch.
Hinter ihr, im Spiegel, war das Gesicht des kleinen Mädchens, weiß, die Haare über das eine Auge gefallen. Der Gesichtsausdruck veränderte sich von Traurigkeit zu boshaftem Triumph.
Kate fuhr herum und sah sich einem Porträt gegenüber.
Es war alt. Sechzehntes Jahrhundert, den Kleidern und dem Malstil nach zu urteilen. Aber das Gesicht war unverwechselbar. Kate fragte sich, durch welchen Trick sich der Gesichtsausdruck veränderte. Handelte es sich um eines dieser genialen Rätselbilder der Renaissance, mit denen Mäzene damals so gern ihre Klugheit herausgestrichen hatten?
Sie war so mit den Spiegeln und ihrem albernen Spiegelbild beschäftigt gewesen, dass sie auf die Bilder nicht weiter geachtet hatte. Das holte sie jetzt nach. Dasselbe Gesicht erschien immer wieder, in verschiedenen Stilen und Moden. Eine Frau in vier Lebensaltern. Vater Merrin hat von den vier Aspekten der Mater lachrymarum gesprochen. »Mädchen, junge Frau, reife Frau und altes Weib … ein vollständiger Kreislauf.«
Die junge Frau war Viridiana, die Laienarbeiterin, die Kate im Vatikan gesehen hatte, und die Alte war Santona, die Wahrsagerin. Das Kind - »der schrecklichste Aspekt, weil es unschuldig ist und die Gnadenlosigkeit der Unschuld besitzt« - würde sie nie mehr vergessen. Nur die reife Frau, die reichlich schlampig und überreif wirkte, kannte sie nicht, wobei in der Metze die letzten Spuren von Viridiana und die ersten Ansätze von Santona zu sehen waren.
Ein Tür ging auf. Kate wurde dieses Versteckspiel langsam leid. Es mochten ja übernatürliche Tricks sein, aber Orson Welles hätte
das mit ein paar Hebeln und einigen schwungvollen Gesten zur Ablenkung auch hinbekommen.
Gelächter drang vom Kopf einer Treppe herunter. Das Lachen einer Frau, voll und lüstern. Auch Musik war zu hören, sehr laute Musik. Ein Chorwerk, zu schnell abgespielt, eine Messe für etwas Unheiliges. Kate musste an Toneffekte denken. Der Lärm ließ die Wände beben.
Sie zuckte die Achseln und ging nach oben.
Der Treppenabsatz war dunkel, aber als sie ihren Fuß auf den Teppich setzte, gingen flackernd Lampen an. Ein versteckter Trittschalter vermutlich.
Die Musik und das Lachen kamen aus einem Raum am anderen Ende einer Galerie. Sie ging sie entlang und sah in einen riesigen Ballsaal hinab. Bodenlose Schwärze, wo die Tanzfläche sein musste.
Weitere Kostenlose Bücher