Die Verbannung
zu früh, könnte ein später Frost die Saat vernichten, fing er zu spät an, hatte das Getreide nicht genug Zeit zum Wachsen. Bald hatten sie schon Juni...
Dylan richtete sich ruckartig in seinem Stuhl auf. Der Juni begann in genau zehn Tagen. Heute war der 22. Mai, sein Geburtstag. Er lehnte sich zurück und flüsterte Cait zu: »Weißt du eigentlich, dass ich heute dreiunddreißig Jahre alt werde?« Das stimmte nicht ganz, in Wahrheit war er älter. Einer seiner Zeitsprünge hatte ihn im Kalenderjahr sechs Wochen zurückkatapultiert, der erste und der letzte waren allerdings zeitgleich gewesen. In seiner eigenen Zeit wäre er schon seit sechs Wochen dreiunddreißig.
Cait lächelte, blickte jedoch nicht von ihrer Arbeit auf. »Ich glaube einfach nicht, dass du schon so alt bist. Für einen Mann Mitte dreißig hast du noch viel zu viele Zähne im Mund.«
Dylan kicherte und fuhr sich mit der Zunge über die Zähne, um nach Löchern zu tasten. Die meisten seiner Backenzähne waren von Zahnärzten des 20. Jahrhunderts mit Füllungen versehen worden, und da er wusste, dass ihm dieser Luxus nie wieder vergönnt sein würde, pflegte er sein Gebiss so sorgfältig wie nur möglich. Stirnrunzelnd bemerkte er: »Dabei fällt mir ein, dass ich keine Ahnung habe, wie alt du überhaupt bist. Deinen Zähnen nach zu urteilen, müsstest du ungefähr zwölf sein.« Cait, ihr Vater und ihr Onkel hatten die besten Zähne im Tal. Nur Iain fehlte ein unterer Schneidezahn, und den hatte er vermutlich während eines Kampfes verloren.
Cait kicherte. »Ich denke auch gar nicht daran, dir mein Alter zu verraten.«
Dylan grinste. Endlich eine Herausforderung, die ihm einen ansonsten eher langweiligen Abend versüßte! »Na komm, sag's mir. Ich bin dein Mann, du kannst mir alles sagen.« Er streckte einen Fuß aus und stupste damit gegen ihren Stuhl.
»Kommt nicht infrage. Du posaunst es nur im ganzen Tal herum.« Ein. breites Grinsen trat auf ihr Gesicht, obgleich sie sich tapfer bemühte, es zu unterdrücken. Mit den mechanischen Bewegungen eines Roboters fuhr sie fort, Wolle zu karden.
»Als ob nicht längst alle Bescheid wüssten! Ich wette, all die alten Leute erinnern sich noch ganz genau an den Tag deiner Geburt. So wie ich Iain kenne, hat er vermutlich ein Riesenfest gefeiert. Sie werden sagen: Erinnerst du dich noch an das wundervolle Fest, das der Laird zur Geburt seiner Tochter veranstaltet hat? Es kommt mir vor, als wäre es erst gestern gewesen, aber ich weiß noch, es war am ...«Er hob die Hände und wartete darauf, dass sie den Satz beendete.
Doch Cait kicherte nur leise und arbeitete noch schneller.
»Wie lange ist das denn nun her? Ich kann mich ja mal ein bisschen umhören. Gracie wird es mir bestimmt verraten.«
»Gracie wird den Mund halten, wenn sie weiß, was gut für sie ist.«
Dylan grunzte und widmte sich wieder seiner Schnitzerei. Es ärgerte ihn, dass sie ihm ihr Alter nicht verraten wollte. Ailis war erst sechzehn, aber seit sie die Pubertät erreicht hatte, sah sie aus wie Anfang zwanzig und benahm sich auch so. Tief in seinem Inneren befürchtete er, Cait könne auch noch so jung gewesen sein, als sie sich kennen gelernt hatten, und da ihm seine Erziehung des 20. Jahrhunderts Sex mit Minderjährigen verbot, empfand er diese Vorstellung als äußerst unangenehm. In ihm stieg auch jedes Mal eine Art verlegene Scham auf, wenn er Ailis' Zustand sah, auch wenn der Rest des Clans ihre Schwangerschaft als Segen betrachtete.
War er ganz ehrlich zu sich, dann musste er zugeben, dass es hier immer noch vieles gab, woran er sich nicht gewöhnen würde. Schaute er sich so in seinem Heim um, fürchtete er manchmal, sich nie damit abfinden zu können, in einem Haus mit Strohdach und Lehmfußboden leben zu müssen. In seiner Heimat hatte er in seinem Apartment niemals Wanzen gehabt, höchstens mal ein paar Ameisen oder einen großen braunen Käfer, der zum Fenster hereingeflogen war. Hier schien sich das Ungeziefer in seinem Haus dieselben Rechte anzumaßen wie er selbst, und es kostete ihn beträchtliche Mühe, es zumindest von seinem Bett, den Lebensmitteln und seinem Körper fern zu halten. Der Winter war die einzige Zeit im Jahr, wo er nicht ständig erbitterte Kämpfe führen musste, um wenigstens diese kleinen Territorien zu verteidigen.
Zu Hause hatte er nur einen Schalter drücken müssen, und sein Apartment wurde in helles Licht getaucht. Hier lag das Torfhaus selbst tagsüber ständig im Dämmerlicht,
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