Die Verbannung
keine erwartet.
Später begann es zu regnen, den ganzen Tag lang. Ein Regentag konnte ihn jedoch genauso wenig von der Arbeit abhalten wie alle anderen Bauern in Schottland. Nur ein Unwetter zwang die Bewohner von Glen Ciorram, in ihren Häusern zu bleiben, und alle beteten, dass ein solcher Sturm ausbleiben möge, denn zu viel Regen auf einmal würde die Saat aus dem Boden schwemmen. Vater Buchanan stimmte in diese Gebete mit ein. Das Wetter bildete zu dieser Jahreszeit stets das Hauptthema aller Gottesdienste. Dylan stellte überrascht fest, dass auch er sich plötzlich um Dinge sorgte, die ihm früher, als er sich nur für seinen bezahlten Job bei Iain Mór und für Caits Sicherheit interessiert hatte, vollkommen gleichgültig gewesen waren. Doch jetzt war er für das Wohlergehen seiner Familie verantwortlich, musste dafür sorgen, dass sie zu essen, Kleider und ein Dach über dem Kopf hatten. Schlechtes Wetter konnte seine Existenz und die seiner Frau und seines Sohnes bedrohen, und da er selbst keinerlei Einfluss darauf hatte, sandte er jeden Tag inbrünstige Gebete gen Himmel.
Nachdem die Saat in der Erde war, konnte auch der Baum, den Dylan gefällt hatte, zu Brettern verarbeitet werden. Da Dylan selbst keine Säge besaß und der Stamm überdies ziemlich dick war, schloss er mit Tormod einen Handel ab. Der Schmied sollte ihm das nötige Gerät sowie seine Arbeitskraft zur Verfügung stellen und im Gegenzug die Hälfte des gesägten Holzes erhalten. Tormod schaffte drei Sägeböcke, eine Zwei-Mann-Säge sowie ein paar kleinere Sägen herbei und legte alles neben dem Baum nieder.
Dylan stellte sich auf den Stamm, den sie zuvor von seinen Ästen befreit und auf die Böcke gelegte hatten, Tormod bückte sich, und gemeinsam setzten sie die riesige Säge in Bewegung. Das Holz von Hand zu sägen erforderte eine nahezu übermenschliche Anstrengung, dazu kam, dass die beiden Männer sich intensiv darauf konzentrieren mussten, einen geraden Schnitt durch den fast zwei Fuß dicken Stamm zu führen. Die Sonne stand hoch am Himmel, und schon bald floss beiden der Schweiß in Strömen über den Rücken. Dylan hatte seine Gamaschen im Haus zurückgelassen, und sowohl er als auch Tormod entledigten sich nach wenigen Minuten ihrer Schuhe und Strümpfe. Sie hatten den Stamm kaum zur Hälfte durchgesägt, als Tormod auch schon um eine Verschnaufpause bat.
Dylan nickte, ließ die Säge los und setzte sich auf den Stamm. Tormod richtete sich ächzend auf, wischte sich den Schweiß vom Gesicht und begann sein Haar an den Seiten zu kleinen Zöpfen zu flechten, damit es ihm nicht ins Gesicht fiel. Um ein Gespräch anzuknüpfen, fragte Dylan: »Warum hast du eigentlich nie geheiratet?« Er wusste, dass Tormod durchaus in der Lage war, eine Familie zu ernähren, denn die Dienste eines Grobschmieds waren im Tal sehr gefragt.
Tormod zuckte die Schultern. »Nun, ich habe zwar ein Auge auf eine ganz bestimmte Frau geworfen, aber sie zeigt kein Interesse an solchen wie mir.«
Eine Frau? Dann musste es sich um eine Witwe handeln. »Willst du mir nicht ihren Namen verraten?«
Tormod warf Dylan einen unsicheren Blick zu. In diesem Moment wirkte er wie ein schüchterner Jüngling, obwohl er ein paar Jahre älter als Dylan war. »Es ist Sarah, Alasdairs Witwe.«
Dylan hätte beinahe laut aufgestöhnt, denn er wusste nur zu gut, warum Tormod bei Sarah keine Chance hatte. »Eine wirklich hübsche Frau«, bemerkte er nur lahm.
Tormod holte tief Atem. »Aye.« Wieder wischte er sich den Schweiß vom Gesicht, dann löste er seinen Gürtel und ließ seinen Kilt zu Boden fallen. Dylan kletterte auf den Stamm, packte den Griff der Säge und machte sich wieder an die Arbeit.
In seinem rechten Unterkiefer begann es plötzlich heftig zu pochen. Er fuhr mit der Zunge über die Zähne und entdeckte in einem davon ein Loch, das er bislang noch nicht bemerkt hatte. Verdammt! Wenn das schlimmer wurde, würde er einige seiner kostbaren Aspirintabletten opfern müssen, um zu verhindern, dass der Schmerz sich in seinem ganzen Kiefer ausbreitete und ihm schließlich eine gewaltige Migräne bescherte. Außerdem war ihm bewusst, dass ein Zahn mit einem so tiefen Loch wahrscheinlich gezogen werden musste, und vor den damit verbundenen Schmerzen graute es ihm jetzt schon. Man konnte sie zwar bestimmt nicht mit den Folterqualen vergleichen, die er in Fort William erlitten hatte, aber wenn er sich vorstellte, dass er jemanden bitten musste, ihn absichtlich zu
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