Die Verbannung
»Ich kann ihn nicht finden.«
»Ist er weggelaufen?«
Ei zuckte die Schultern. »Das hat er noch nie gemacht.«
»Wenn er es täte, wäre er ja auch als Hütehund unbrauchbar. Vielleicht ist er verletzt. Du willst sicher nach ihm suchen.« Sie gab ihrem Mann einen raschen Kuss. »Dann geh. Das Mondlicht ist hell genug. Ruf nach ihm. Wenn er noch lebt, wird er dich schon hören.«
Dylan machte sich auf die Suche, konnte den Collie jedoch nirgendwo finden. Schließlich gab er auf und ging zum Essen nach Hause. Wahrscheinlich hatte der Hund den Kampf mit einer Wildkatze verloren, da war es ohnehin besser, wenn er den Kadaver nicht zu Gesicht bekam.
Trotzdem verbrachte er den größten Teil des nächsten Tages ebenfalls damit, nach Siggy Ausschau zu halten, obwohl seine Hoffnung zusehends schwand. Bei Marc und Ailis' Haus machte er Rast, um sich mit einem Becher Wasser zu erfrischen, ehe er den Heimweg antrat. Er nahm die Abkürzung, die zum östlichen Ende seines Besitzes führte. Der Weg stieg zwar steil an, war aber viel kürzer als der durch Glen Ciorram und am Torfmoor vorbei.
Während er den schmalen Pfad emporstieg, trauerte er um den einzigen Hund, den er je besessen hatte. Sigurd war ein intelligenter, hart arbeitender Hütehund und dazu das treueste Geschöpf gewesen, das Dylan je gekannt hatte. Jetzt brauchte er einen neuen Hund, der die Herde zusammenhielt, und es würde schwierig werden, einen Welpen auszubilden. Er brauchte dringend Hilfe. Vielleicht konnte jemand im Tal für eine Weile einen Hund entbehren. Insgeheim verwünschte er sich, weil er es versäumt hatte, einen Welpen anzulernen, als Siggy noch bei ihm gewesen war.
»Dylan!« Das war wieder Codys Stimme. Sie schluchzte leise, Dylan fuhr herum. Im schwindenden Tageslicht erkannte er verschwommen die Umrisse einer Frau, die auf einem Felsbrocken saß. Cody war so gekleidet wie bei den Highland Games in Tennessee; sie trug ein Kleid mit Mieder aus dem 17. Jahrhundert; nur das dreieckig gefaltete Kopftuch fehlte. Er zwinkerte ein paarmal. Halb und halb erwartete er, die Erscheinung werde sich in Luft auflösen, aber sie blieb sitzen. »Dylan«, sagte sie. »Lass Cait morgen nicht allein.«
Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken. Er wandte sich an die nebelhafte Gestalt, die immer durchsichtiger zu werden schien. »Warum nicht?«
Das Schluchzen hallte von unsichtbaren Wänden wider, als käme es aus einem Tunnel. Tränen glitzerten auf Codys Gesicht. »Lass sie nicht aus den Augen. Sonst wird sie ermordet. Morgen.«
»Woher weißt du ...«
»Vertrau mir.« Sie presste, von heftigem Schluchzen geschüttelt, eine Hand vor den Mund. Ihr Bild löste sich vor seinen Augen auf. »Vertrau mir einfach, Dylan. Bitte ...« Dann war sie verschwunden.
Dylan starrte den Felsen, auf dem sie gesessen hatte, ungläubig an. Eine Weile wagte er sich nicht von der Stelle zu rühren. Cait sollte ermordet werden? Morgen? Endlich löste er sich aus seiner Erstarrung, hastete den Hügel empor und rannte über die Felder zu seinem Haus.
Er stürmte zur Tür hinein und blickte sich wild in dem von Kerzen erhellten Raum um. Cait sah von der Wolle auf, die sie gerade kardete. »Was ist passiert?« Dylan rang nach Luft, ohne ihr eine Antwort zu geben. Cait erhob sich. »Hast du ihn gefunden?«
Einen Moment lang wusste er nicht, wovon sie sprach. Ach ja, Siggy. Er holte tief Atem und stieß ihn langsam wieder aus. »Nein. Ich habe das ganze Tal abgesucht. Er ist wie vom Erdboden verschluckt. Niemand in Ciorram hat ihn gesehen.« Plötzlich kam er sich wie ein Narr vor. Cait würde nicht sterben. Nicht, solange er bei ihr war.
Cait seufzte und widmete sich wieder ihrer Arbeit. »Er war ein guter Hund.«
Dylan nickte. Er konnte den Blick nicht von ihr abwenden. Die Vision von Cody hatte ihm einen solchen Schrecken eingejagt, dass er am ganzen Leib zitterte. Nur mit Mühe gelang es ihm, die Tür zu schließen. Immer wieder redete er sich ein, dass Cait nichts geschehen würde, aber ein leiser Zweifel blieb. Spielte ihm Morrighan wieder einen ihrer Streiche? War es unklug, einfach vorauszusetzen, dass Cait in Sicherheit war? Es drängte ihn, Sinann zu rufen und sie danach zu fragen, aber dieses Gespräch konnte er nicht in Caits Gegenwart führen, auch wenn die Fee und seine Frau inzwischen gute Freundinnen geworden waren. Er setzte sich auf seinen Platz neben dem Feuer und tastete nach Brigids silbernem Heft. Niemand würde Cait etwas zu Leide tun. Nicht,
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