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Die Verbannung

Titel: Die Verbannung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianne Lee
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wieder in den Leuchter zurück und nahm einen Holzspan aus dem Kamin, um sie eine nach der anderen anzuzünden. In dem flackernden Licht konnte er nun auch seine Umgebung deutlich erkennen. Ein Bogenfenster ging nach Norden hinaus, wo er zu dieser nächtlichen Stunde natürlich nichts als undurchdringliche Finsternis sah. Aber er wusste, dass er im Tageslicht von hier aus eine gute Aussicht über den Nor'Loch und den dahinter liegenden Firth of Förth haben würde. Vor dem Fenster stand ein kleines Sofa, ein paar hölzerne Lehnstühle waren im Raum verteilt, aber insgesamt war der kleine Salon wenig mehr als ein etwas breiter geratener Durchgang.
    Mit einem Mal fiel ihm das Holzflugzeug in seinem sporran ein. Er nahm es heraus, zog seinen sgian dubh unter seinem Hemd hervor und verlieh dem Seitenruder und der Stabilisierungsflosse rasch den letzten Schliff. Die Späne warf er in den Kamin. Schließlich schob er den Dolch zufrieden wieder in die Scheide zurück. Das Flugzeug war ihm recht gut gelungen, obwohl die eine Tragfläche etwas kleiner geraten war als die andere. Er ließ es durch die Luft gleiten und ahmte dabei Triebwerksgeräusche nach. Ein feines Lächeln spielte um seinen Mund.
    Als er hörte, wie sein Name gerufen wurde, drehte er sich hastig um. Sein Puls beschleunigte sich, und einen Moment lang schien sein Herzschlag auszusetzen. Cait stand in dem Mauerbogen. Sie trug einen kleinen, dunkelhaarigen Jungen in einem leinenen Nachthemd auf dem Arm. Der Kleine blickte sich verwundert im Raum um und rieb sich das Gesicht. Offenbar war er es nicht gewöhnt, so spät abends noch aufgeweckt zu werden. Er gähnte so herzhaft, dass ein Zittern durch seinen Körper lief, dann schloss er das rosige Mündchen wieder und drückte sich an die Brust seiner Mutter. Unfähig, auch nur einen Ton hervorzubringen, starrte Dylan ihn an.
    Sinann, die auf der Sofalehne hockte, war gleichfalls starr vor Staunen. »Och, er ist dir wie aus dem Gesicht geschnitten, mein Freund.«
    Das konnte Dylan nicht leugnen. Statt Ciaran hätte er ebenso gut ein altes Babyfoto von sich selbst betrachten können. Die blauen Augen, das wuschelige dunkle Haar ... »Niemand würde auf den Gedanken kommen, dass Ramsay der Vater ist«, sagte er mit belegter Stimme. Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Selbst in diesem Jahrhundert, wo die Vererbungslehre noch in den Kinderschuhen steckte, wäre niemand davon zu überzeugen gewesen, dass der blonde, blasse Ramsay mit der blonden Cait diesen Jungen hätte zeugen können.
    Cait schüttelte nur lächelnd den Kopf.
    Dylan wollte auf sie zugehen, doch sie hob eine Hand. »Warte. Schau her.« Dann kniete sie nieder und stellte Ciaran auf seine pummeligen Füßchen. Auch Dylan ließ sich auf ein Knie nieder, Cait ließ den Kleinen los, auf dessen Stirn eine angestrengte Falte erschien, als er vorsichtig einen Schritt wagte, dann, noch einen, und schließlich watschelte er unsicher auf seinen Vater zu.
    Dylan fasste ihn und nahm ihn hoch. Er meinte, das Herz müsse ihm im Leibe zerspringen, als er seinen Sohn an sich drückte und dann auf sein Knie setzte. »Guter Junge«, flüsterte er, ehe seine Stimme versagte und er nur noch wortlos den weichen schwarzen Haarschopf zausen konnte.
    Ciaran grinste, gab feuchte, gurgelnde Laute von sich, strampelte mit den Beinen und griff nach Dylans Unterlippe. Zwei winzige weiße Zähnchen blitzten in seinem rosigen Unterkiefer auf. Er hatte die typischen blauen Matheson-Augen, was angesichts der Tatsache, dass er sowohl von der väterlichen als auch von der mütterlichen Seite her Matheson-Blut mitbekommen hatte, weiter kein Wunder war. Dylan löste seine Lippe sacht aus dem Griff der kleinen Finger und reichte seinem Sohn das Holzflugzeug, dass dieser sofort in den Mund steckte. Nachdem er einen Moment lang darauf herumgekaut hatte, fuchtelte Ciaran mit dem Flugzeug durch die Luft und prustete dabei fröhlich. Dylan musste grinsen, weil das Geräusch so sehr dem Klang eines Motors ähnelte, obwohl Ciaran diese Erfindung zu seinen Lebzeiten nicht zu Gesicht bekommen würde. Als ihm seine Stimme wieder gehorchte, sagte er leise: »Er ist... einfach überwältigend.«
    Cait kam zu ihm hinüber und nahm auf einem der Stühle Platz. Ein zärtliches Lächeln lag auf ihrem Gesicht. »Er ist mein ganzes Leben.« Etwas leiser fuhr sie fort: »Der einzige Lichtstrahl an diesem fürchterlichen Ort. Ich dachte ja lange Zeit, er wäre alles, was mir von dir bleibt.« Sie

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