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Die Verbannung

Titel: Die Verbannung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianne Lee
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Stimme eines Menschen in einer Maschine einfangen und sie wieder abhören. Die Maschine gibt dann genau das wieder, was der Betreffende gesagt hat. Mit Musik geht das auch. Als ich ein Kind war, gab es Leute, die behauptet haben, wenn man gewisse Musikstücke rückwärts abspielte, würden unanständige Wörter herauskommen. Als meine Freunde und ich davon hörten, haben wir nach der Schule stundenlang um einen Plattenspieler herumgesessen und den Plattenteller mit dem Finger gedreht, um die Stücke rückwärts laufen zu lassen. Zwar konnten wir nie etwas verstehen, aber es klang ganz genauso wie die Stimme eben.«
    »Rückwärts, sagst du - statt vorwärts?« Sinann überlegte angestrengt.
    »Aye. Es hörte sich so an, als würde sich jemand rückwärts ...«, sein Herz tat einen kleinen Satz, »... durch die Zeit bewegen.«
    Dylan fand noch ein paar Stunden Schlaf, bevor eine Dienerin ihn weckte, damit er sich zum Frühstück ankleidete. Als er auf dem Weg zur Küche, wo er mit den Dienstboten zu essen gedachte, in den Saal trat, stellte er überrascht fest, dass an der großen Tafel, an der Ramsay und Cait bereits Platz genommen hatten, auch ein Gedeck für ihn aufgelegt worden war. Ramsay saß am Kopf der Tafel, Cait rechts von ihm. Der Hausherr deutete auf den leeren Stuhl zu seiner Linken. »Setzt Euch und esst. Aber trödelt nicht herum.«
    Dylan hätte lieber in der Küche gefrühstückt, statt Cait gegenüberzusitzen und so tun zu müssen, als sei sie eine völlig Fremde für ihn. Er wagte nicht, sie anzusehen, bis er feststellte, dass auch sie ihn keines Blickes würdigte. Sie saß kerzengerade da, unbeweglich wie eine Statue, und wechselte weder mit ihm noch mit Ramsay ein Wort. Das tief ausgeschnittene Mieder ihres Überkleides war mit Spitzen gesäumt, darunter trug sie eine gerüschte Seidenbluse mit losen Ärmeln. Die englische Tracht kleidete sie gut, sie trug sie mit Würde und Anmut, doch ihm hatten die weichen Wollgewänder, in die sie sich in Glen Ciorram gekleidet hatte, wesentlich besser gefallen. Diese Kleider hatten ihre Rundungen vorteilhaft betont und mussten außerdem sehr viel bequemer gewesen sein als das steife, mit Fischbein verstärkte Korsett, in das sie jetzt gezwängt war.
    Ihm fiel auch auf, dass sie in diesem Haus offenbar gelernt hatte, mit einer Gabel umzugehen, was ihr sicher nicht schwer gefallen sein konnte, denn an Messer und Löffel war sie seit jeher gewöhnt gewesen. Dylan griff nach seiner eigenen Gabel und hielt sie genau wie seine Gastgeber in der Linken, während er mit dem Messer in der Rechten das Fleischstück auf seinem Teller zerteilte.
    Noch immer sprach niemand ein Wort. Ramsay aß langsam und mit sichtlichem Genuss. Dylan war sich nicht ganz im Klaren darüber, warum ihm die Ehre zuteil wurde, mit der Familie essen zu dürfen, aber er nahm an, dass Cait dies veranlasst hatte, genau wie sie am Abend zuvor dafür gesorgt hatte, dass er im Gästezimmer untergebracht worden war.
    Oben auf der Galerie öffnete sich eine Tür, und eine Frau in einem grauen Leinenkleid trat mit Ciaran auf dem Arm aus der Kinderstube. Dylan sah zu, wie sie zur Treppe ging und kurz darauf im ersten Stock erschien. Der Junge trug einen blauen Miniaturanzug mit kurzen Hosen und weißen Rüschen am Hals und an den Ärmeln. Mit einer Hand umklammerte er Dylans Geschenk, das hölzerne Spielflugzeug.
    Ein Lächeln, das er nicht zu unterdrücken vermochte, trat auf Dylans Gesicht. Er hielt den Blick auf seinen Teller gesenkt, während die Kinderfrau seinen Sohn in den Salon brachte. Sinann tauchte links neben ihm auf und nahm mit untergeschlagenen Beinen am Fuß der Tafel Platz. Dylan warf ihr einen flüchtigen Blick zu, dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf den Kleinen, der angestrengt an einer hölzernen Tragfläche herumkaute. Ciaran lächelte seine Kinderfrau an, ließ seine beiden weißen Zähnchen aufblitzen und trat mit seinen kleinen Füßen gegen den Rock der Frau.
    Dylans Herz floss über vor Stolz. Er hatte als Lehrer früher viel mit Kindern zu tun gehabt und war immer gut mit ihnen zurechtgekommen, aber dieser Junge hier war ein Teil von ihm. Er schluckte hart, um seiner Rührung Herr zu werden, er musste all seine Selbstbeherrschung aufbieten, um Ciaran nicht aus den Armen der Kinderfrau zu reißen, ihn sich auf die Schultern zu setzen, mit ihm durch die Straßen zu laufen und jedem, der es hören wollte, zuzurufen, dass dieses perfekte kleine Menschlein sein Sohn

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