Die Verbannung
war, sein Kind, das eines Tages zu einem stattlichen Mann heranwachsen würde. Stattdessen widmete er sich wieder seinem Frühstück, den Blick starr auf seinen Teller gerichtet.
Sinanns Stimme klang weich. »Ich weiß, wie schwer es für dich ist, mein Freund.«
Er sah flüchtig zu ihr hinüber, wandte sich aber sofort wieder ab. Darauf gab es nichts zu sagen, selbst wenn er ihr hätte antworten können. Er fragte sich nur, warum sie auf einmal so freundlich und mitfühlend war. Das sah ihr so gar nicht ähnlich.
Nach dem Frühstück begleitete er seinen Arbeitgeber zum Büro zurück, wo der Vormittag ereignislos verlief. Mittags gingen sie zum Lunch wieder in das Kaffeehaus, wo Ramsay sich mit seinem englischen Geschäftsfreund traf. Dylan ver-zehrte ein Brot mit Käse und spülte alles mit einem Humpen Ale hinunter, während er zuhörte, wie die beiden Männer über die momentanen Marktpreise sprachen. Der Tonfall des Engländers gefiel ihm nicht, und er spürte, dass auch Ramsay sich nicht wohl in seiner Haut fühlte. Charles verbarg irgendetwas. Oder vielleicht war er an dem Gespräch nicht sonderlich interessiert. Früher hatte Dylan des Öfteren mit Freundinnen zu tun gehabt, die ganz genauso gleichgültig gewesen waren, bevor sie mit ihm Schluss gemacht hatten. Dieser Mann machte denselben gelangweilten Eindruck wie Ginny, die sich wie aus heiterem Himmel von ihm getrennt hatte, kurz bevor er in dieses Jahrhundert geraten war.
Dylan blickte müßig zur Tür hinüber und erstarrte. Der kalte Schweiß brach ihm aus, als er drei Männer in roten Dragonerröcken und grauen Hosen dort stehen sah. Einer von ihnen war Major Bedford. Er hatte sich den Hut unter den Arm geklemmt und streifte seine Reithandschuhe ab, während er sich im Gastraum umsah.
»Rühr dich nicht vom Fleck!«, zischte Sinann.
Das hatte Dylan auch nicht vor. Was immer er auch tat, es würde nur die Aufmerksamkeit des Majors auf ihn lenken, der den einzigen Fluchtweg, die schmale Eingangstür, mit seinem Körper versperrte. Leise bat er: »So tu doch etwas.«
»Was denn?«
»Irgendetwas!«
»Dein Wunsch ist mir Befehl, wie man so schön sagt.« Kichernd erhob sich die Fee in die Luft, schwirrte über Dylans Schulter hinweg und winkte mit der Hand. Sofort begannen die Knöpfe von Bedfords Uniform abzuspringen. Wie Sektkorken aus der Flasche flogen sie durch den Schankraum, landeten klirrend auf dem Boden und rollten unter die Tische.
Bedford fluchte. Ramsay blickte sich um und stimmte in das allgemeine Gelächter mit ein, als er sah, wie der steife englische Major seinen Rock mit einer Hand zusammenhielt und seine Eskorte hinter den fahnenflüchtigen Knöpfen herjagte. Sinann quiekte vor Wonne. Ein weiterer Schwall kleiner Knöpfe rasselte vor den Füßen des Majors zu Boden. Ein entsetzter Ausdruck trat in Bedfords Augen, während er mit der freien Hand krampfhaft seine Hosen festhielt. Als sich dann auch noch die goldenen Tressen zu lösen begannen, bedeutete er seinen Männern, mit ihm das Kaffeehaus zu verlassen. Verzweifelt bemüht, seine Würde zu wahren, eilte er aus dem Raum und raffte dabei seine Kleidungsstücke zusammen, die ihm zu entgleiten drohten.
Sinann brach in kreischendes Gelächter aus, warf sich auf den Boden und rollte in den Binsen herum. Dylan biss sich auf die Lippen, um nicht gleichfalls loszuprusten. Ramsay schnaubte in seinen Kaffee, und auch die anderen Gäste quittierten das lächerliche Schauspiel mit Gekicher und höhnischen Bemerkungen. Dylan beugte sich zu Sinann hinunter. »Das macht dir immer wieder Spaß, nicht wahr?«
Der Fee liefen die Tränen über die Wangen. »O ja, und wie!«
»Bedford muss jetzt eine ganze Horde von Näherinnen in Atem halten.«
Sinann nickte und hielt sich erneut den Bauch vor Lachen.
Sowie die Besprechung beendet war, brach Ramsay nach Canongate auf, um seiner Mätresse einen Besuch abzustatten. Dylan wartete draußen, schlang zum Schutz gegen die Kälte Plaid und Mantel enger um sich und plauderte mit Sinann. »Wie soll ich denn nun vorgehen, wenn ich Bedford ans Messer liefern will, um eine Begnadigung zu erwirken? An wen kann ich mich wenden?«
»Eine gute Frage, und noch dazu eine, auf die ich keine Antwort weiß. Außerdem brauche ich dir ja nicht erst zu sagen, dass jeder Offizier, dem du dich anvertraust, dich möglicherweise auf direktem Weg ins Gefängnis steckt, ohne deine Informationen zu verwerten, weil er seinen Kameraden schützen will. Und sogar wenn man
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