Die Verbannung
sich aber bei Tisch nur mit Ramsay, es sei denn, Cait sprach ihn von sich aus an. Er hielt es sogar für zu gefährlich, sie zu lange anzuschauen, also beschränkte er sich darauf, ihr verstohlene Blicke zuzuwerfen, während er ihre höflichen, unverfänglichen Fragen ebenso höflich, aber knapp beantwortete.
Ramsay selbst richtete nur dann das Wort an Cait, wenn er an ihr herumzukritteln hatte. Cait selbst redete beide Männer nur selten an, um sich keine höhnischen Bemerkungen seitens ihres Mannes einzuhandeln. Dylan konzentrierte sich allein auf Ramsay, weil er vermeiden wollte, dass dieser Cait zu viel Aufmerksamkeit schenkte. So kam es, dass sich Ramsay während der Mahlzeiten in ausführlichen Monologen erging und Dylan ihm gerade so oft zustimmte, um ihn in dem Glauben zu lassen, dass er etwas auf die Meinung seines Arbeitgebers gebe.
In dieser Woche war Ramsay besonders schlechter Laune, denn allmählich zeigte sich, dass sein englischer Freund Charles die Geschäftsbeziehung beenden wollte. Wie ein Liebhaber, der sich einer anderen zugewandt hat, begann der Engländer Ramsay aus dem Weg zu gehen. Es lag auf der Hand, dass Charles irgendwo eine einträglichere Quelle aufgetan hatte, denn schon bald erfuhr Ramsay, dass er sein Büro in Edinburgh geschlossen hatte und nach London gezogen war. Ramsay, Ltd., konnte den Verlust verschmerzen, Ramsay hatte noch andere Eisen im englischen Feuer, aber er fühlte sich in seinem Stolz verletzt, und so war dieser Tage noch schweier mit ihm auszukommen als sonst.
Cait hatte am meisten unter seinen Launen zu leiden. Obwohl er nie Anstalten machte, sie zu schlagen, wenn Dylan in der Nähe war, bedachte er sie oft genug mit hasserfüllten Schimpftiraden. Cait mied ihren Mann, so gut es ging, und hielt Ciaran möglichst von ihm fern. Dylan war nur froh, dass der Junge noch zu klein war, um zu verstehen, was um ihn herum vorging.
Freitagabend musste er an einer Kammermusikveranstaltung teilnehmen, zu der Ramsay einige einflussreiche Edin-burgker Geschäftsleute eingeladen hatte. Eineinhalb Stunden lang war er dazu verurteilt, stumm hinter Ramsays Stuhl Posten zu beziehen, wobei er sich entsetzlich lächerlich vorkam. Außerdem langweilten ihn die faden Klänge des Streichquartetts zu Tode. Auch wenn diese Art Musik vermutlich der neueste Sound aus London war, hätte er in diesem Moment viel für einen Walkman und ein paar Springsteen-Tapes gegeben, um sich damit wach halten zu können.
Ciaran wurde in letzter Zeit nur sehr selten aus der Kinderstube nach unten geholt, und nie, wenn Ramsay bereits im Haus war. So bekam Dylan seinen Sohn nur zu Gesicht, wenn er sich mit seiner Mutter im Salon aufhielt. Kam Dylan dann mit Ramsay nach Hause, hielt er sich möglichst hinter seinem Arbeitgeber, um das Baby ungestört beobachten zu können. Aber solche Gelegenheiten boten sich ihm nur selten, und Ciaran wurde auch nie gestattet, den ganzen Abend unten zu verbringen, wenn der Hausherr anwesend war. Dylan wagte gar nicht daran zu denken, was geschehen würde, wenn sein Sohn alt genug war, um das Haus auf eigene Faust zu erkunden. Würde Ciaran sein ganzes Leben lang in der Kinderstube eingesperrt werden?
Aber es gab nichts, was er dagegen hätte unternehmen können. Er verbrachte seine Tage damit, in Ramsays Büro zu sitzen oder seinen Arbeitgeber kreuz und quer durch die Stadt zu begleiten.
Eines Abends kehrten Ramsay und Dylan vom Büro zurück und trafen Cait im Salon an, wo sie ihrem Sohn vorlas. Ramsay erteilte den Dienstboten ein paar schroffe Befehle. Von Cait hörte Dylan nur wenige Worte, dann verstummte sie. Sie saß in der Ecke neben dem Feuer, bemüht, möglichst wenig aufzufallen, und flüsterte Ciaran etwas ins Ohr, um ihn ruhig zu halten. Dylan wusste aus Erfahrung, dass sie so sitzen bleiben würde wie ein Hase, der darauf wartet, dass der Falke abdreht, bis sich eine Gelegenheit ergab, unbemerkt die Treppe zur Kinderstube hinaufzuhuschen. Später würde sie zurückkehren, um mit Ramsay und Dylan die Abendmahlzeit einzunehmen.
Aber an diesem Abend entließ Ramsay Nellie mit einer Handbewegung und ging direkt zur Treppe. »Ich esse oben, Neil. Sorg dafür, dass ich nicht gestört werde.«
Dylan wurde leicht ums Herz, als Ramsay verschwunden war. Er blickte Cait an, die ebenfalls sichtlich erleichtert wirkte. Ciaran trommelte mit den Füßen gegen ihre Schienbeine, plapperte etwas in der Babysprache und patschte gegen das Buch, das seine Mutter in der Hand
Weitere Kostenlose Bücher