Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Verbannung

Titel: Die Verbannung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianne Lee
Vom Netzwerk:
Gabel hätte fallen lassen. Ihre Augen schwammen in Tränen. Dylan konnte nur hoffen, dass der Dienstmagd Mrs. Ramsays plötzliche Nervosität nicht auffiel. Er hätte Cait ja gerne beruhigt, wagte es aber nicht; auf keinen Fall wollte er das Misstrauen dieser aufdringlichen Nervensäge wecken. Schließlich erhob sich Cait, ohne ihre Mahlzeit beendet zu haben, und ging in die Kinderstube.
    Auch Dylan zog sich in seine Kammer zurück; er hatte Vorbereitungen für den Ritt zu treffen. Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, zog er den Brief aus seinem Hemd, um ihn zu inspizieren. Er trug ein großes, kunstvoll gestaltetes Siegel und war mit einem violetten Band verschnürt. Die aufgedruckte Krone ließ sein Herz schneller schlagen. König James? Vermutlich. Von George von Hannover konnte der Brief kaum stammen. Hielt sich der König in St. Giles versteckt? Dylan besann sich auf seine Geschichtskenntnisse. War James schon aus Schottland geflohen? Er schüttelte den Kopf. Nein, die Flucht würde irgendwann im Februar erfolgen, und jetzt schrieb man Ende Januar. Aber wahrscheinlich befand sich James auch nicht in der Kirche, die Gefahr war zu groß. Trotzdem musste dieser Brief irgendwie mit den Fluchtplänen zusammenhängen und von äußerster Dringlichkeit sein. Ramsay hatte nicht übertrieben, als er gesagt hatte, der Verlust des Schreibens könne Dylans Tod zur Folge haben.
    Eine andere Frage nagte an ihm. Stand er im Begriff, selbst einen Beitrag zur Flucht von König James zu leisten? Er wusste, dass der König am Leben bleiben und 1719 nach Schottland zurückkehren würde. War er, Dylan, ein Teil der Geschichte gewesen? Und wenn dem so war - konnte er den Lauf der Geschichte ändern, indem er diesen Brief unterschlug? James' Sohn Bonnie Prince Charlie würde erst 1722 geboren werden. Falls der König der Armee von Georges von Hannover in die Hände fiel - was, wie Dylan wusste, eben nicht geschehen war -, würde dann der Prinz gar nicht erst zur Welt kommen? Könnte man so den Aufstand von 1745, der so verheerende Folgen für die Bewohner der Highlands gehabt hatte, ganz verhindern?
    Aber wenn er diesen Brief nicht weitergab, bedeutete das seinen sicheren Tod, und trotzdem war nicht gewährleistet, dass der Aufstand nicht stattfand. Cait und Ciaran waren dann ohne ihn auf Gedeih und Verderb der Gnade eines Mannes ausgeliefert, der sie beide hasste. Ihm blieb keine Wahl.
    Dylan schob den Brief in sein Hemd zurück, zog seinen Mantel an, streifte die Handschuhe über, die er erst kürzlich erworben hatte, und schlang sich sein Wehrgehenk über die Brust. Dann wandte er sich an die Fee, die auf dem Kopfteil seines Bettes kauerte. »Ich möchte, dass du hier bleibst und auf ...«
    »Ich komme mit.«
    »Sinann ...«
    »Darf ich dich daran erinnern, was passiert ist, wenn du mich nicht mitgenommen hast? Einmal warst du schon fast tot, als ich dich endlich fand. Und kürzlich wärst du um ein Haar von dem Sassunaich-Major entdeckt und dann beinahe von Männern umgebracht worden, deren Identität du bis heute nicht kennst. Und jetzt keine Widerrede mehr. Ich begleite dich, und dabei bleibt es.«
    Dylan musterte sie aus schmalen Augen und überlegte, welchen Sinn es hatte, sich mit ihr auf eine Diskussion einzulassen.
    Sinann fuhr fort: »Und außerdem sind wir ja morgen Mittag schon wieder zurück.«
    Wo sie Recht hatte, hatte sie Recht. »Also gut, dann komm schon mit.«
    Wieder einmal holte er das Pferd aus Davids Stall in Cowgate ab, und David händigte ihm auch noch eine Signallaterne aus. Sinann hockte sich hinter ihn auf die Kruppe des Pferdes, und Dylan ritt in nordwestlicher Richtung auf das schmale Ende des Firth of Forth zu. Es war eine kalte, mondlose Nacht, und außer ihm war keine Menschenseele auf der Straße, so musste er kaum befürchten, auf Rotröcke zu stoßen. Den größten Teil der Strecke legten sie in einem leichten Galopp zurück, daher kamen sie schnell voran.
    Bei Queensferry ragte eine Landzunge in den Firth hinaus, von der aus man den gesamten Hafen überblicken konnte. Draußen auf dem Wasser ankerten mehrere Schiffe, die von gelblichen Laternen erleuchtet wurden. Dylan wusste, dass das Schiff, das er suchte, im Dunkeln liegen musste. Er löste die kleine Laterne vom Sattelknauf, entzündete sie mithilfe eines Feuersteins, richtete sie direkt auf den Firth und öffnete die Blende. Zwei Seitenklappen verhinderten, dass der Lichtstrahl im Hafen gesehen werden konnte. Er stützte die

Weitere Kostenlose Bücher